Die Wiege des eCommerce

So fing es damals alles an!

So fing es damals alles an!

Der Erfolg hat bekanntlich viele Väter, aber wo die Wiege des Onlinehandels in Deutschland stand, kann ich ganz genau sagen: in Kiel!

Woher ich das weiß? Weil ich damals Chefredakteur eines winzigen Branchendienstes namens „Internet-Report war und dabei zufällig erfuhr, dass ein paar Studenten die Idee gehabt hatten, einen Webshop zu bauen. Zur Erinnerung: Ein Jahr zuvor, also 1992, hatte Tim Berners-Lee am Kernforschungszentrum CERN in Genf ein hypertext-basiertes Kommunikationssystem vorgestellt, das er „World Wide Web“ nannte. Und ein Jahr später hatte man am Informatiklehrstuhl der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel schon einen Web-Server – eines von einer Handvoll in Deutschland.

Gut, es gab damals natürlich schon Btx, und da wurde auch fleißig gehandelt. Aber das Web war etwas ganz Neues: Statt Pixelgrafiken gab es richtige Bilder und gestaltete Texte, per Hyperlink konnte man Mails versenden und überhaupt war die Welt im Web viel bunter und schöner. Das Projekt war schnell geboren, aber es gab ein Problem: Keiner der Studenten hatte etwas zu verkaufen. Aber einer von ihnen kam aus Oldenburg in Holstein, und dort gab es ein kleines Teegeschäft, das einem alten Mann namens Frank Franken gehörte. Das wäre doch was, sagten sich die jungen Internet-Pioniere: ein alter Tante-Emma-Laden im modernsten Kommunikationssystem, das es gibt.

Sie fragten Herrn Franken, und der sagte vermutlich: „Moin, moin!“ oder irgend so was Norddeutsches. Jedenfalls ließ er sie gewähren, und sie bauten ihm einen Online-Katalog mit einigen Dutzend Teesorten und schmückten das Ganze mit einer Zeichnung, auf der das putzige Fachwerkhaus zu sehen war. Die Geschichte machte die Runde, und ich habe als  einer der allerersten Reporter bei Frank Franken angerufen, um mich mit ihm über den Teehandel per Internet zu unterhalten.

Man mag es ja nicht glauben, aber damals 1993 war das keineswegs unumstritten. Eine starke Fraktion unter den frühen Usern war nämlich der Ansicht, dass Kommerz nichts im World Wide Web zu suchen hätte. Das Medium sollte ausschließlich für den – unentgeltlichen – Austausch von Informationen und Meinungen reserviert sein. Aus dieser Zeit stammt schließlich auch der Spruch: „the Internet wants to be free“. Wobei das englische Wort „free“ zwei deutsche Übersetzungen kennt, nämlich „frei“ und „umsonst“.

Es gab aber noch ein Problem: Herr Franken hatte kein E-Mail. Er hatte aber ein Faxgerät, und so programmierten die Studenten ihm eine Faxweiche, so dass Bestellungen per Mail bei ihm per Fax ankamen. Er packte den Tee ein, schrieb mit der Hand eine Rechnung und brachte das Päckchen zur Post: Fertig war der „E-Commerce“!

Leider hat Frank Franken nicht lange Spaß an der neuen Vertriebsform gehabt. Er starb im November 1993, aber sein Nachfolger Christopher Kock und Sven Bünnig waren damit so erfolgreich, dass sie im Sommer 2007 den alten Laden auf gaben und sich ganz auf den Onlinehandel konzentrieren konnten.

Ich wurde an die alte Geschichte erinnert, als ich vor ein paar Monaten eine Einladung bekam, das Laudatio bei der Jubiläumsfeier zum 20jährigen Bestehen des Internet-Providers NetUSE in Kiel zu halten – die seinerzeit von eben jenen Studenten mitbegründet worden war, die Frank Franken zu seinem Teeladen im Internet verholfen hatten. Zum Glück fand ich auf einer alten Festplatte noch ein Screenshot des allerersten Online-Geschäfts im deutschen Internet und zeigte es bei der Feier in Kiel zum freudigen Erstaunen der Gäste, denn leider hatte niemand damals daran gedacht, beim Relaunch der Seite die alte aufzuheben.

Das Internet vergisst ja sonst eigentlich nichts. Und auch ich werde Frank Frankens Teeladen nie vergessen – zumal ich seit 20 Jahren regelmäßig meinen Tee dort kaufe. Und das soll bitteschön auch so bleiben!

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