Der Nerd und ich

 

Microsoft CEO Bill Gates (Photo by © Doug Wilson/CORBIS/Corbis via Getty Images)

 

Neulich wollte einer auf Quora wissen: Wie ist Bill Gates als Person? Zufällig kann ich diese Frage ziemlich gut beantworten.

Als ich Bill Gates kennenlernte, war ich gerade 35 Jahre alt, und er war noch fünf Jahre jünger. Er sah aus wie der sprichwörtliche Computer-Nerd: ein bisschen wortscheu und unsicher. Schließlich war er das erste Mal in München, und dann auch gleich noch im vornehmen Hotel Bayerischer Hof, wo ich ihn einquartiert hatte. Und das kam so:

1982 hatten sich eine Gruppe von hauptsächlich japanischen und südkoreanischen Firmen (Ausnahme war nur Philips in Eindhoven) zusammengetan, um Spielecomputer zu bauen, die dem zwei Jahre zuvor eingeführten IBM Personal Computer Paroli bieten sollten. Der Original-PC war ein reiner Bürocomputer; ihm fehlte zum Beispiel eine ordentliche Grafikkarte, und der Sound war auch nicht besonders.

Die MSX-Anbieter wollten sich auch eine gemeinsame Marketingplattform geben, und so gründeten sie die MSX Arbeitsgemeinschaft Deutschland“, zu deren Gründungsmitgliedern so hochmögende Hersteller wie Sony, Panasonic, Toshiba, Canon, Sanyo, Yashica und Goldstar aus Korea zählten. Was ihnen noch fehlte war jemand, der die Arbeit macht.

Ich hatte die letzten Jahre als HiFi-Journalist verbracht, seit 1978 in der Gründungsmannschaft des Magazins Audio, wo ich als Textchef tätig war, und danach als Chef der deutschen Lizenzausgabe von stereoplay, die aus dem römischen Verlag edizione suono stammte.

1980 überwarf ich mit meinem Chef und kündigte. So wurde ich auf einmal freier Journalist, obwohl ich das nie vorgehabt habe. Ich hatte aber viele Freunde und ehemaligen Kollegen in der Branche, die mich mit Aufträgen versorgten, zum Beispiel für den „Playboy“, den „Stern“, das „Diners Club Magazin“ und viele andere. Außerdem kannte ich in der HiFi-Branche beinah jeden.

Und so kam es, dass mich 1984 Peter Hoenisch, der legendäre Pressechef von Sony Deutschland, anrief und fragte, ob ich nicht den Geschäftsführer dieser neuen MSX-Arbeitsgemeinschaft machen wolle. Ich verstand zwar wenig von Computern, aber Spielkonsolen waren meine private Leidenschaft. Ich hatte sie alle besessen, den Mattel Intellivision, den allerersten Pong, den Sinclair ZX, den Atari 2600, den Sega 1000. Die Chance, eine ganz neue Generation von elektronischem Spielzeug in die Finger zu kriegen, konnte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

Zu meinen Aufgaben als Chef der MSX-AG gehörte es fortan, gemeinsame Werbematerialien herzustellen wie Flyer und Poster, gemeinsame Messestände, beispielsweise auf der Funkausstellung in Berlin oder auf der Systems in München zu organisieren, und Seminare für Softwareentwickler durchzuführen, in der Hoffnung, dass sie ihre Spiele auch fürs MSX-Format anbieten würden, denn damit stand und fiel der Erfolg des Systems.

Wir planten unseren ersten Workshop für den Frühjahr 1985, aber zuerst brauchten wir einen Dozenten, der sich bei dem Betriebssystem gut auskannte. Das stammte von einer kleinen Klitsche in Amerika, die sich „Microsoft“ nannte.

IBM hatte 1980 aufgrund ihres verspäteten Einstiegs in das Homecomputer-Geschäft mit ihrem IBM-PC möglichst rasch ein Betriebssystem benötigt, und die Wahl fiel auf Microsoft. Den Deal hatte Billys Mama eingefädelt: Mary Bates war über die Wohltätigkeitsorganisation „United Way“, wo sie im Vorstand saß, im Kontakt zu John Opel, dem Präsidenten von IBM. Über diese Verbindung bereitete sie für ihren Sohn den Weg zu „Big Blue“. Microsoft tat sich mit dem japanischen Softwareunternehmen ASCII zusammen, veränderte ein bisschen das Betriebssystem MS-DOS, das sie an IBM verkauft hatten, und nannten es „MSX-DOS.“

Wir haben also bei Microsoft in Redmond angefragt, und sie schickten einen Entwickler zu unserem Workshop. Es war niemand anderer als Bill Gates himself. Drei Tage lang ging er zu Fuß vom Bayerischen Hof hinüber ins Künstlerhaus am Lenbachplatz, wo ein Dutzend andere Nerds auf ihn warteten. Sie verstanden sich prima, obwohl Billy natürlich kein Wort Deutsch sprach. Abends bin ich mit ihm um die Ecke zu MacDonalds gegangen, wo er mit Vorliebe einen „Quarterpounder“ mit Pommes und Cola bestellte, der allerdings gerade umbenannt worden war und jetzt „Royal TS“ hieß. Am Geschmack hatte sich allerdings nichts verändert. Anschließend ging Billy gleich ins Hotel und schnurstracks ins Bett, wo er die halbe nach mit seiner Mama telefonierte. Als er abreiste, hinterließ er mir eine Telefonrechnung in Höhe von fast 3.000 D-Mark (Euros gab es noch keine).

Unsere Zeit zusammen hat keinen bleibenden Eindruck auf ihn gemacht. Als wir uns ein Jahr später auf der CeBIT beim Presserundgang begegnet sind, hat er mich nicht wiedererkannt. Und als ich mittags in die Zeitung schaute, fand ich im Wirtschaftsteil eine kleine Meldung, aus der hervorging, dass Microsoft am Freitag an die Börse gegangen war. Der Ausgabepreis einer Aktie lag bei 7 Cents. Am Montag lag er bei 107 Dollar – und Billy, der Nerd, war über Nacht zum Milliardär geworden.

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