Antisemitismus vs. Philosemitismus – Versuch einer Erklärung

Judensau!

Es ist wieder so eine Frage auf Quora, die mich nicht in Ruhe lassen. Warum hassten die Deutschen die Juden während des Zweiten Weltkriegs?„, will einer wissen. Ich würde die Frage viel weiter stellen, nämlich: Warum hassen manche Menschen Juden überhaupt? Und schwarze, gelbe, fremde oder einfach andere Menschen?

Wenn sich jemand durch sein Verhalten oder seine Äußerungen als ein echtes Arschloch entpuppt, okay – da habe ich ein gewissen Grad an Verständnis. Aber einfach durch seine Zugehörigkeit zu einer Gruppe?

Die Wurzeln des Antisemitismus lassen sich in der Konkurrenz zwischen frühem Christentum und Judentum finden. Der verhängnisvollste Vorwurflautet, „die Juden“ seien verantwortlich für die Kreuzigung Christi. Sie seien deshalb „Gottesmörder“.

Aber Antisemiten wie die Nazis zeichneten sich ja nicht gerade durch ihre christliche Frömmigkeit aus. Also muss es andere Gründe geben.

Im Mittelalter war es Christen von der Kirche verboten, Zinsen zu nehmen. Also haben die Juden das lucrative Geldverleihgeschäft übernommen und sind reich geworden, was Sozialneid schürte und zu Gewaltentladungen führte. Nachdem Juden von der Kirche erst in den verpönten Geldhandel abgedrängt worden waren, wurde ihnen nun der Vorwurf gemacht, Händler und Wucherer zu sein. Allerdings entfiel mit der Zeit der Zinsverbot, und die Konkurrenz durch christliche Geldverleiher stieg.

Anfang des 12. Jahrhunderts entwickelte sich in der christlichen Welt die Legenden der Hostienschändung und besonders die des Ritualmords, der zufolge Jüdinnen und Juden christliche Kinder entführen und töten würden, um deren Blut für rituelle Zwecke zu verwenden. Ursprung dieses Fehlglaubens dürfte das Dogma der römisch-katholischen Kirche sein, dass Brot (Hostie) und Wein sich während des Abendmahls in den Leib und in das Blut Jesu Christi verwandeln. Kranke Hirne konstruierten daraus eine gedankliche Brücke und beschuldigten Jüdinnen und Juden nun ihrerseits, Blut für religiöse Zwecke zu gebrauchen – obwohl der jüdische Glaube die Verwendung von Blut streng verbietet.

Gegen Ende des Mittelalters breitete sich das Schmähbild der „Judensau“ aus, das Juden im intimen Kontakt mit den – im Judentum als unrein geltenden – Schweinen zeigt und sie als deren Artverwandte darstellt. Da das Schwein in der christlichen Bildsprache als Symbol für den Teufel stand, werden mit diesem Bild im Spätmittelalter Juden umfassend dämonisiert.

Der Reformator Martin Luther war besonders für seinen tiefsitzenden Antisemitismus bekannt. An der südlichen Außenfassade der Stadtkirche zu Wittenberg, die als Mutterkirche der Reformation gilt, ist eine sogenannte „Judensau“ zu sehen. Das Spottrelief zeigt einen Rabbiner, der einem Schwein unter den Schwanz schaut. Mehrere Juden saugen zudem an den Zitzen des Tieres.

„Wenn mir Gott keinen anderen Messias geben wollte, als die Juden ihn begehren und erhoffen, so wollte ich viel, viel lieber eine Sau als ein Mensch sein“, schrieb der Reformator 1543 in seiner Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“.

In der Neuzeit wurde „Der Jude“ zum Symbol für alles Böse und Schlechte in der Welt. Die nationalsozialistische Propaganda übernahm diese Theorie des Juden als „Sündenbock“ (Otto Fenichel). Danach steht der Jude für Gier, Hass und Neid.

Pio­nieren der Antisemitismusforschung – unter ihnen Ernst Simmel, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer – beschrieben den Antisemitismus in den 1940er Jahren als eine „soziale Krankheit“. Auch Freud beschäftigte sich mit diesem Thema. Der Antisemitismus im Dritten Reich wirkt für viele Psychoanalytiker mit all seinen Widersprüchlichkeiten wie eine Geisteskrankheit aus dem Lehrbuch.

Interessanterweise begann sich im 17. und 18. Jahrhundert eine Gegenströmung zu entwickeln, der so genannte Philosemitismus (von griech. philos – „Freund“ – und Semitismus). Sie beschreibt Juden und Jüdinnen als besonders klug oder als besonders schön. Diese Zuschreibungen haben den gleichen Ursprung wie der Antisemitismus und ist bis heute zu beobachten. Im Deutschlandfunk sagte der Publizist Rafael Seligmann dazu kürzlich: „Ich freue mich, wenn mich jemand liebt, aber wenn mich jemand nur liebt, weil ich Jude bin, kann er mich genauso gut hassen, weil ich Jude bin. Also wenn man nur als Jude gemocht wird, das ist mir nicht geheuer.“

In der gleichen Sendung wurde der Philosemitismus als eine „Feindschaft – nur mit anderen Vorzeichen“ beschrieben und gefragt: Müssen Juden Angst haben, dass sie von Philosemiten „zu Tode geküsst werden“? Sollten sie sich in Acht nehmen vor Menschen, die von ihren „lieben jüdischen Mitbürgern“ sprechen, die Versöhnungsreden halten, nach Israel pilgern und zudem ständig Klezmer-Musik hören?

Auch das sind gute Fragen.

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