Das Erdbeben von New York

Als die Türme fielen, veränderte sich die Welt

Als die Türme fielen, veränderte sich die Welt

War der Angriff auf die „Twin Towers“ von New York am 11. September 2001 ein Schlüsselereignis auf dem Weg zur Entwicklung einer Digitalen Aufklärung, wie ihn Ossi Urchs und ich in unserem im Herbst erscheinen Buch gleichen Namens fordern?  Dr. Andreas Zielcke, ehemaliger Feuilletonchef der „Süddeutschen Zeitung “, zog jedenfalls in einem Beitrag vergangenen Dienstag über Geheimhaltung im amerikanischen Rechtssystem und die Rolle der US-Gerichte im Skandal um den Überwachungswahn des NSA eine reizvolle Parallele zum großen Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755 und dem Abhörskandal des Jahres 2013.

Als seinerzeit eine der schönsten Hauptstädte Europas von jetzt auf nachher in Schutt und Asche gelegt wurde, suchten die Menschen vergeblich nach dem Sinn einer solchen Katastrophe. „Wie das Erdbeben von Lissabon … die ganze Welt schockte und ihr mit einem Schlag die Zuversicht nahm, sich weiterhin auf die göttliche Fürsorge verlassen zu können , so tief hat sich weltweit der Schrecken eingegraben, den der Terroranschlag des 11. September ausgelöst hat“, schreibt Zielcke. Er zitiert dazu Goethe, der in „Dichtung und Wahrheit“ über das Erdbeben und seine eigene Reaktion darauf schrieb: „Vielleicht hat der Dämon des Schreckens zu keiner Zeit so schnell und so mächtig seine Schauer über die Erde verbreitet … Gott hat sich keineswegs als väterlich erwiesen. “

Ganz offensichtlich wurde der Glaube weiter Bevölkerungskreise an die unerforschliche Güte Gottes durch das Ereignis ebenso erschüttert wie die optimistische Ansicht von dieser Welt als der besten aller möglichen, wie es Gottfried Wilhelm Leibniz in seiner „Théodicée“ postulierte. Diese Idee wurde wiederum von Voltaire in „Candide“ aufgegriffen und satirisch übersteigert. Man kann also ohne zu übertreiben das Erdbeben von Lissabon als eines der Auslöser jener Geistesbewegung verstehen, die wir rückblickend als die europäische Aufklärung des 18. Jahrhunderts bezeichnen.

Womöglich werden Historiker des 21. Jahrhunderts ähnlich über den Einsturz der Türme in New York urteilen. Zielcke nimmt es vorweg, indem er schreibt: „Er hat kein Vertrauen mehr in eine göttliche Vorsehung erschüttert, dafür aber das Vertrauen in die vielleicht menschlichste aller Freiheiten, der Freiheit der Kommunikation.“

Wie tief der Schock von Manhattan gerade in Amerika sitzt, haben die Reaktionen auf die NSA-Enthüllungen durch den jungen Edward Snowdon gezeigt. Selbst ein Vorzeige-Liberaler wie Thomas Friedman („Die Welt ist flach“) outete sich in einer Kolumne für die New York Times als Fan des Überwachungsstaates, weil er lieber seine Privatsphäre opfern als Opfer eines zweiten elften September werden wolle. Konservative Kommentatoren treibt der Gedanke an Staatsverrat dagegen regelrecht den Schaum an die Lippen. Der Politanalyst Ralph Peters forderte im stramm rechten Sender Fox News die Todesstrafe für Snowdon und für Bradly Manning, der hochgeheime Diplomatenpost an WikiLeaks verriet.

Weil auch Terroristen den Schutz der Anonymität des Internet für sich nutzen, so diese perverse Logik, haben Staatsschützer und Geheimdienste die Aufgabe, alles was auf der Welt kommuniziert wird, ob per Telefon oder Mail, zu entschlüsseln und auszuspähen. Was sie gar nicht gemerkt haben, ist dass sie damit in Wirklichkeit die Pandorakiste der Öffentlichkeit endgültig aufgestoßen haben. Geheimhaltung, das wird immer klarer, ist in einer Welt, die immer mehr von der Transparenz des Internet und der digitalen Medien beherrscht wird, im Grunde überhaupt nicht mehr möglich. Dass es erst der „Verräter“ Snowdon und Manning bedurfte, bis diese Erkenntnis zu dämmern begann, ist eine der ironischeren Ergebnisse der Katastrophe vom 11. September 2001.

Nicht, dass diese Erkenntnis so tief sitzen würde, dass Politik und Staatsschutz daraus wirklich Lehren ziehen würden. Im Gegenteil: Es wird versucht, mit Brachialgewalt die „Lecks“ im System zu stopfen und diejenigen durch weltweite Strafverfolgung mundtot zu machen, die vorgeführt haben, wie löcherig diese Systeme in Wahrheit sind. Das ist ein klassischer Fall von „shoot the messenger“: Der Überbringer einer schlechten Botschaft wird bestraft.

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