Digitale Revolution – Aufruf zum digitalen Widerstand!

Welcome to the Digital Wild Wild West!

Wenn wir uns die junge Geschichte des Internets vor Augen führen wollen, ist es vielleicht gut, sich zuerst einmal die Geschichte des amerikanischen „Wilden Westens“ ins Gedächtnis zu rufen. Damals wie heute wurde eine neue Welt erschlossen, und am Anfang herrschten nackte Gewalt und das „Gesetz des Colts“. Erst nach und nach wurde das Land besiedelt, kultiviert und am Ende zivilisiert (auch wenn man angesichts des Wahlsiegs von Donald Trump vielleicht bezweifeln könnte, ob dieser Prozess wirklich abgeschlossen ist…).

Das ging alles recht schnell. Als mein eigener Vorfahr, James Cole, 1633 in Plymouth, Massachusetts, ankam, war der Westen des nordamerikanischen Kontinents noch Terra incognita, die Karten des Landesinneren ein großer weißer Fleck. Ja, die Küsten waren weitgehen besiedelt, zuerst durch die Spanier im Süden und ganz im Westen in Kalifornien, später durch die Engländer an der Ostküste und die Franzosen im Norden, wo heute Kanada liegt, sowie an der Mündung des Mississippi in den Golf von Mexiko. Die Franzosen beanspruchten deshalb das ganze Mississippital für sich und nannten es „Louisiana“. 1803 brauchte Napoleon Geld, und so verkaufte er das ganze Gebiet an die Vereinigten Staaten für 15 Millionen Dollar. Das war damals gar nicht so wenig: in heutigem Geld ungefähr 250 Millionen – aber immer noch ein Pappenstiel für ein Gebiet von mehr als zwei Millionen Quadratkilometern.

Ein Jahr später wollte die US-Regierung herausfinden, was sie da eigentlich gekauft hatten, und sie schickten zwei Soldaten, den Armeekapitän Meriwether Lewis und sein engster Freund, Leutnant William Clark, auf eine fast 12.000 Kilometer lange Reise an die Pazifikküste. Die 33 Expeditionsteilnehmer und ein Hund stapften mehr als zwei Jahre lang durch die Prärie, klettern über Berge und überquerten Flüsse, um sich ein Bild dieses riesigen und fremden Kontinents zu machen. Das war auch deshalb wichtig, weil damit eine offizielle US-Präsenz in dem weitläufigen Gebiet etabliert war, was den expansionistischen Bemühungen Englands und Russlands (denen damals Alaska gehörte) ein Riegel vorschoben.

Man kann also guten Gewissens behaupten, dass der „Wilde Westen“, wie wir es kennen, 1804 begann. Und sie war auch relativ schnell wieder vorbei: Am 10. Mai 1869 wurde der symbolische letzte Gleisnagel der ersten transkontinentalen Eisenbahn nahe dem Ort Promontory Summit im Bundesstaat Utah eingeschlagen. Er war auch so etwas wie der Sargnagel einer Epoche. Drei Jahre später fand man es bereits für nötig, die letzten unberührten Reste des Westens unter Schutz zu stellen, indem man den Yellowstone Nationalpark schuf.

So, das war also der Wilde Westen! Gerade mal 65 Jahre hat er gedauert. In dieser kurzen Zeitspanne, kaum ein Wimpernschlag in der Menschheitsgeschichte, steckt alles, was wir aus Karl May und zahllosen Westernfilmen kennen: bärtige Trapper und zähe Siedler, Zug- und Kutschenüberfälle, Indianerkriegee und das Gemetzel der einst riesigen Büffelherden, die Expressreiter und die erste Telegrafenleitung.

1962 feierten die größten Regisseure ihrer Zeit, John Ford, Henry Hathaway, George Marshall und Richard Thorpe, in dem Monumentalfilm „The Wild Wild West“ (auf Deutsch als „Das war der Wilde Westen“ erschienen), nochmal das Andenken an eine besondere Ära, die durch die Brille von Verkitschung und Verklärung längst zu einem Mythos geworden war (und beendeten damit gleichzeitig eine andere, nämlich die des epischen Hollywood-Historienfilms).

Werden wir eines Tages genauso auf die ersten Jahrzehnte des Internet zurückblicken? Und was wird daraus noch werden?

Denn wir wissen ja, was nach dem Wilden Westen kam: als Erste die Farmer, die das Land rodeten und einzäunten (1867 erhielt Lucien B. Smith aus Ohio das Patent für Stacheldraht, was wahrscheinlich für die Erschließung des Westens wichtiger war als der Colt). Es kamen die Händler und Saloonbesitzer, die Telegrafenstationen und Gefängnisse, die Sherifs und die Richter, die Schulen und Kirchen, die Vermesser und die Grundbuchämter, die Eisenbahnen und Highways. Irgendwann war das Land „zivilisiert“ in dem Sinne, dass Recht und Ordnung herrschte, Wachstum und Wohlstand, Fortschritt und Vielfalt.

Das alles steht uns im Internet-Zeitalter erst noch bevor. Wir befinden uns heute ungefähr dort, wo die ersten Siedler standen, als sie aufbrachen ins Gelobte Land jenseits des großen Flusses. Uns steht die ganze mühsame Arbeit bevor, aus der Wildnis einen blühenden Garten zu machen. Aber dazu müssen wir zuerst einmal aufräumen, Ordnung schaffen, Gesetze erlassen und sie durchsetzen, Auswüchse beschneiden, die Bösewichte hinter Gittern bringen, die Räuberbarone in die Schranken weisen, das Land urbar und das Leben lebenswert machen.

Das große Fressenmuss aufhören!

Das wird ein hartes Stück Arbeit werden, und die Chancen scheinen schlecht zu stehen. Zu mächtig sind die Gegenspieler, die Googles, Apples, Facebooks und Amazons (gemeinsam die „Big 4“ genannt). Zu lax sind die Bestimmungen zum Schutz von Bürgern und Verbrauchern – oder sie fehlen ganz. Allen Beteierungen zum Trotz ist das Internet immer noch ein weitgehend rechtsfreier Raum, und Manfred Oettinger, der „Digitaökommissar“ der EU, fordert mit Recht ein „digitales BGB“, einen European Civil Code, der Ordnung schafft und zum Beispiel klärt, wem Daten überhaupt gehören.

Oettinger macht sich Sorgen wegen der Wirtschaft, weil beispielsweise bis heute unklar ist, wem die Daten einer CAD-Datei gehören, die ein Herstelöer seinem Kunden schickt, der damit auf seinem 3D-Drücker das Ersatzteil ausdrückt, das er braucht, um seine kaputte Produktionsmaschine wieder in Gang zu setzen. Ich finde, in einem digitalen BGB DDR Europa – Inns für die ganze Welt – sollte auch drinstehen, wem meine Daten hgehören: mir – oder irgendeinem Moloch aus dem Silicon Valley?

Große Internet-Konzerne und winzige Startups: Sie alle sind es gewohnt sich am großen Trog zu bedienen, der mit unseren Informationen, unseren Daten, unsere intimsten Geheimnisse und unsere Wunschträumen gefüllt ist. Und natürlich ist das große Fressen für sie kostenlos!

Ohne Widerstand werden sie den Trog nicht freigeben. Die Big 4 und all die andere haben einfach zu viel zu verlieren, und sie werden auch nicht kampflos aufgeben. Sie sind schließlich die neuen Räuberbarone des 21sten Jahrhunderts, und sie haben tiefe Taschen und mächtige Verbündete. Sie haben sich daran gewöhnt, uns auszubeuten und auszunutzen, unsere Daten zu stehlen und unsere Identitäten zu klauen, unsere Informationen zu vermarkten und uns anzufixen mit ihren Plattformen und Apps. Sie betrachten das inzwischen sogar als ihr gutes Recht – entschuldige, das hab‘ ich mir erlaubt.

Und das Schlimmste ist: Wir lassen es uns auch noch gefallen!

Macht kaputt, was Euch kaputt macht!

Der österreichischer Nationalökonom Joseph Schumpeter (1883-1950) lag richtig mit seiner Idee der „schöpferischen Zerstörung“: Kapitalismus war für ihn und seine Anhänger ja Unordnung, die fortwährend durch innovative Unternehmer entsteht, die neue Ideen in den Markt tragen. Diese Unordnung war für ihn die Ursache von Fortschritt und Wachstum.

Die Technologiebranche liefert laufend Beispiele für solche kreative Unordnung. IBM und Apple in den 1980ern, Microsoft und Netscape in den 1990ern Jahren, die Big 4 im 21. Jahrhundert: Stets geht es darum, sich einen Vorteil auf Kosten der anderen zu verschaffen. Anfangs blieb jeder noch brav bei seinen Leisten: Google machte Suche, Apple baute Computer, Amazon verkaufte Bücher und Facebook machte die Leute zu Freunden. Heute sieht die Welt der Big 4 aus wie eine Landkarte aus dem Mittelalter, wo jeder gegen jeden kämpft oder sich mit dem einen gegen den anderen verbündet, um sich strategische Vorteile zu verschaffen.

Es gibt eine deutliche Parallele zur Ära der sogenannten „Robber Barons“, der Räuberkapitalisten, die das „Gilded Age“, wie es Mark Twain nannte, in Amerika um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert geprägt haben. Der Wilde Weste war gezähmt, und großen Gierkapitalisten wie John D. Rockefeller, Cornelius Vanderbilt, Andrew Carnegie und J. Pierport Morgan haben in der Folge Imperien geschaffen und sie skrupellos ausgebeutet.

Das Blattgold-Zeitalter des Internets

Historiker werden vielleicht einmal vom „Blattgold-Zeitalter des Internet“ sprechen, eine hektische Zeit ohne feste Regeln und klare Aufsichtsfunktionen, die erst langsam von Regularien, vor allem aber vom Markt selbst in geordnete Bahnen gelenkt wurde, und in der Männer wie Steve Jobs, Jeff Bezos, Mark Zuckerberg und Larry Page ähnliche Imperien schufen, wie einst ihre Vorfahren ein Jahrhundert zuvor.

Uns kommt es vielleicht vor, als gäbe es das Internet schon ewig, aber in Wahrheit stehen wir noch ganz am Anfang. Heute werden die Claims abgesteckt. Es geht um die Herrschaft über wichtige Schlüsselbranchen wie Video, Musik-Streaming, Navigation oder Cloud Services: Das sind einige der Bereiche, in denen der Kampf zwischen den Big 4, aber auch zwischen ihnen und uns ausgetragen werden wird. Die Karten werden noch gemischt, und es ist noch nicht endgültig klar, wer das Spiel gewinnen wird.

Aber eines ist klar: Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird es beim Wilden Westen bleiben. Wir Bürger und Verbraucher werden unser Recht nicht nur einfordern müssen: Wir müssen es einklagen – und notfalls sogar erstreiten. Der Weg in eine zivilisierte Online-Welt wird nicht ohne eine Revolution von unten abgehen. Wir können nur hoffen, dass bei dieser Revolution nur virtuelles Blut fließt.


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