Ein Mausklick ersetzt keine Umarmung

Die Dame am Empfang in der Lufthansa-Lounge von Atlanta war vielleicht Mitte vierzig, natürlich sehr freundlich, das ist ja auch ein Teil ihres Jobs, aber auch ein bisschen distanziert, das bringt der Beruf und der dauernde Umgang mit vielen wildfremden Menschen wahrscheinlich auch mit sich. Ich zeigte ihr meine Bordkarte, wir wechselten ein paar Worte, da klingelte das Telefon. „Moment“, meinte sie noch, dann hob sie ab, sprach ein paar Worte, dann hörte sie nur noch zu. Ihre Augen weiteten sich, ihr Lächeln verwandelte sich in eine Grimasse des Schmerzes und der Bestürzung. Dann schaute sie hoch, mir direkt in die Augen, und stammelte: „Mein Vater ist tot!“

Ich bin um den Schreibtisch herum gegangen und habe sie etwas hilflos in den Arm genommen, während sie weiterhin wortlos und versteinert in den Apparat lauschte. Ob sie meine Nähe gespürt hat, weiß ich nicht. Nach ein paar Minuten legte sie auf, nahm das Taschentuch, das ich ihr reichte, putzte die Nase, stand dann auf und verschwand durch die Tür in den hinteren Bereich der Lounge. Ihre Kollegin kam vorbei, fragte was los sei. Ich erzählte es ihr. Sie ging ihrer Kollegin hinterher, kam später heraus und übernahm den Empfangsjob. Von der Dame, deren Vater gestorben war, habe ich nichts mehr gesehen.

Später dachte ich mir: Diese Szene hätte sich in ähnlicher Weise genauso gut mitten in einem Telefonkonferenz oder einem Online-Chat abspielen können. Wie hätte ich in diesem Fall mein Mitgefühl ausgedrückt? Womöglich mit einem eingetippten „Sorry“ oder einem Smily-Gesicht mit herabhängenden Mundwinkeln?

Es heißt, im Internet-Zeitalter sei jeder Mensch höchstens vier Mausklicks von jedem anderen entfernt. In Augenblicken wie diese ist das ganz schön weit.

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