Facebooks Götterdämmerung

Es zucken die Blitze mit Donnerhall, verkünden der Menschheit baldigen Fall.

 

Dass Facebook in tiefen Schwierigkeiten steckt, ist bekannt. Mich hat nur überrascht, wie schnell es gegangen ist. Was sich aber jetzt zusammenbraut, stellt alles bisher Dagewesene in den Schatten – und läutet womöglich das Ende ein von Facebook, wie wir es kennen.

David N. Cicilline ist einer der mächtigsten Männer in Washington. Der Abgeordnete der Demokraten aus dem winzigen Bundesstaat Rhode Island wirft einen langen Schatten im Congress, wo er als Vorsitzender des Unterausschusses für Wettbewerbsrecht darüber zu wachen hat, dass in der Wirtschaft Amerikas sauber gespielt wird. Und das tut Facebook seiner Meinung nach schon lange nicht, hat es vielleicht auch nie getan. Und jetzt holt der Mittfünfziger den Hammer raus.

In einem Meinungsbeitrag für die New York Times fordert Cicilline die oberste Wettbewerbsaufsicht, die Federal Trade Commission (FCC) auf, eine offizielle Untersuchung von Facebook wegen eklatanter Verstöße gegen die Kartellgesetze einzuleiten.

Unternehmen, denen es schon mal so ähnlich gegangen ist, gibt es heute nicht mehr: Standard Oil wurde 1911 in 34 Einzelunternehmen zerschlagen. Im gleichen Jahr erwischte es die American Tobacco Company, im Volksmund „Big Tobacco“ genannt: Sie wurde in vier selbständige Unternehmen aufgeteilt. 1984 wurde AT&T, auch „Ma Bell“ nach ihrem Gründer Alexander Graham Bell genannt, in sieben regionale Telefongesellschaften aufgesplittet; die deutlich geschrumpfte Konzernmutter behielt nur ihr Fernvermittlungsgeschäft.

Wie viele ist Cicilline vor allem wegen des Cambridge Analytica-Skandals auf Facebook sauer. Wie hinreichend berichtet wurde hatte die inzwischen in Konkurs gegangenene Beraterfirma eine Umfrage-App entwickelt, die Persönlichkeitsprofile von mehr als 87 Millionen Nutzern weitergereicht, unter anderem an das Wahlkampfteam von US-Präsident Donald Trump. Es gab einen weltweiten Aufschrei, und die britische Datenschutzbehörde verhängte gegen Facebook die „Höchststrafe“, nämlich 500.000 Pfund (rund 565.000 Euro).

Das kann Facebook natürlich aus der Portokasse bezahlen, aber jetzt geht es wohl ans Eingemachte. Was Cicilline in seiner Philippika auflistet, geht nämlich weit über Datenklau und Wahlmanipulation hinaus. Und das könnte richtig, richtig teuer werden.

„Seitdem hat eine Flut von Berichten gezeigt, dass der Fall Cambridge Analytica Teil eines viel umfassenderen Fehlverhaltensmusters durch Facebook ist“, schreibt der ebenso mächtige wie streitbare Abgeordnete. So sei zum Beispiel herausgekommen, dass Facebook Jugendliche schon ab 13 Jahren dafür bezahlt, ein „Marktforschungs-App“ auf ihren Smartphones zu installieren, dass Facebook „root access“, also unbeschränkte und unverschlüsselte Zugriffsrechts auf ihren kompletten Netzwerkverkehr verschafft, was ja schon an digitale Kindesmißhandlung grenzt.

Außerdem wurde bekannt, dass Facebook sich Hintertüren auf Apps von Drittanbietern verschafft hat, wie der Wall Street Journal berichtete. Dadurch ist Facebook in der Lage, an die persönlichsten aller persönlichen Daten zu gelangen, zum Beispiel von Zyklus- und Fertilitätstrackern wie Flo Health and Azumio, die Gesundheitsdaten von Schwangeren aufzeichnen und durch Ovulationstests sagen, wann die Gelegenheit günstig ist, Nachwuchs zu zeugen. Die Masche funktioniert sogar bei Leuten, die gar kein Facebook-Konto haben.

„In seinem Streben nach Dominanz hat Facebook mindestens 60 Geräteherstellern direkten Zugang zu seinen Nutzerdaten gegeben“, schreibt Cicilline. Dagegen haben die Strafbehörden bereits Ermittlungsverfahren eingeleitet, wie die New York Times berichteten.

Facebook habe bewusst versucht, die Aufsichtsorgane des amerikanischen Parlaments auszutricksen und hat Fehlinformationen über Kritiker verbreitet, um diese zu diskreditieren – alles Dinge, die Facebook bei Big Tobacco vor 100 Jahren abgekupfert haben könnte und die seinerzeit zu den Hauptgründen für die Zerschlagung zählten.

Jedes Mal, wenn Facebook erwischt werde, folgten „abwechseln Leugnung, hohle Versprechen und Entschuldigungen“, behauptet Cicilline.  Es sei deshalb längst an der Zeit, kartellrechtlich gegen den Internet-Riesen vorzugehen.

Es geht aber auch um strafrechtliche Konsequenzen. 2011 hat Facebook nämlich ein Anerkenntnisurteil der FCC akzeptiert, das sie verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die Privatheit und Datensicherheit seiner Kunden zu schützen. Die Wettbewerbsbehörde hat nun ein Verfahren eingeleitet, das den Verdacht erhärten soll, dass Facebook gegen diese Auflagen verstoßen hat und auch weiterhin verstößt. Dafür kann man in den USA ins Gefängniks gehen.

Datenschützer hätten seit Jahren auf diese Missstände hingewiesen, beklagt Cicilline, ohne dass die Behörde reagiert hätte. Nicht nur habe es der FCC versäumt, das Anerkenntnisurteil durchzusetzen; sie hätten durch die Genehmigung der Übernahme von WhatsApp und Instagram durch Facebook dem Zuckerberg-Konzern sogar erlaubt, seine beherrschende Wettbewerbsposition auszubauen.

Cicilline fordert Geldstrafen in einer Höhe, die sogar Facebook zusammenzucken lassen würde. „Ausgehend davon, dass der Konzern alleine 2018 einen Umsatz von 55 Milliarden Dollar gemacht hat, wäre selbst ein Bußgeld im niedrigen Milliardenbereich nichts als ein Klapps auf den Po, sozusagen ein Teil der Betriebskosten“, schreibt er.

Außerdem sei Facebook ein Wiederholungstäter, also müsse die Kommission dafür sorgen, dass ihre Antwort stark genug sei, um künftige Verstöße zu verhindern. Das sei nur durch eine komplette Umstrukturierung zu gewährleiten. Es müssten Vorstandsmitglieder und sogar Spitzenmanager ausgetauscht werden. Facebook müsse den deutlichen Wille zeigen, sein Geschäftsmodell zu verändern und die offensichtliche Dysfunktion an der Unternehmensspitze zu adressieren.

Lobend erwähnt Cicilline übrigens das deutsche Kartellamt, dass dem Internet-Konzern Anfang Februar Beschränkungen bei der Verarbeitung von Nutzerdaten auferlegt hat. „Facebook ist im Bereich der sozialen Netzwerke nicht nur marktbeherrschend, es missbraucht diese Stellung auch“, hieß es in der Verfügung der deutschen Wettbewerbshüter – eine bislang weltweit einzigartige Anwendung von Wettbewerbsrecht in Bezug auf Datensicherheit, wie ich damals hier auf cole.de geschriebem habe („Vergesst den Datenschutz – nur das Wettbewerbsrecht kann GAFA Ketten anlegen“).

Dass Mark Zuckerberg inzwischen den Reumütigen gibt und seinerseits in einem vielzitierten Blogpost verspricht, Facebook zu einem Musterknaben für Privatheit zu mendeln, entlockt Cicilline nur höhnisches Lachen. Die Ankündigung, die Messenger von Facebook, WhatsApp und Instagram zusammenzulegen, hält er für einen „gefährlichen Griff nach der Macht“ und den Versuch, die Wettbewerbshüter abzuschütteln.

So weit, so schlecht. Bleibt aber die Frage, ob Cicillines Vorstoß fruchten wird oder nicht. Angesichts einer Trump-Regierung, die sich weniger statt mehr Regulierung auf die Fahnen geschrieben hat, ist Skepsis angebracht. „Die amerikanischen Wettbewerbsbehörden haben seit mehr als zwei Jahrzehnten kein signifikantes Anti-Monopolverfahren verfolgt, obwohl Unternehmenskonzentration und Monopolbildung neue historische Höchststände erreicht haben“, gibt er zu. Es sei klar, dass die Zeit gekommen sei, hart durchzugreifen.

Starke Worte, fürwahr. Aber werden Taten folgen?

An dieser Stelle ist es vielleicht hilfreich, sich daran zu erinnern, dass Facebook das Social Web keineswegs erfunden hat. Lange vor Facebook gab es MySpace – ein heute ziemlich unbedeutender Social Media-Ramschladen, der im Juni 2004 die magische Grenze von einer Million Nutzer pro Monat erreichte und auf dem Weg zu sein schien, den Markt für soziale Medien zu beherrschen. Im Juli 2005 kaufte Rupert Murdoch, der mächtige Chef des Medienkonzerns NewsCorp, MySpace für 580 Millionen Dollar und kündigte an, den Dienst auf 200 Millionen Nutzer und einen Börsenwert von neun Milliarden Dollar ausbauen zu wollen.

Heute ist MySpace ein Schatten seiner Selbst. Von seinem Höchststand mit 76 Millionen Nutzern im Jahr 2008 ist die Zahl mittlerweile unter 15 Millionen gesunken. Murdoch, der mittlerweile öffentlich zugegeben hat, dass die Übernahme eine „Fehlentscheidung“ gewesen sei, verkaufte das Portal für 35 Millionen Dollar an das Werbenetzwerk Specific Media. Im Februar 2018 fragte Elise Moreau in Lifewire: „Ist MySpace tot?“

Warum ist die Geschichte des Niedergangs von MySpace heute so lehrreich? Weil es zeigt, wie verwundbar und vergänglich selbst ein Riese wie Facebook in Wahrheit ist. Vielleicht erlebt ja Mark Zuckerberg gerade seine Götterdämmerung.

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