(Fast) eine richtige Rezension

Eine richtige Rezension werde das nicht, schrieb Max Urchs seinem Beinah-Namensvetter Ossi einleitend zu seinem Text über unser neues Buch „Digitale Aufklärung – Warum uns das Internet klüger macht“. Der hauptamtliche Philosoph, der unter anderem an der EBS (European Business School) in Wiesbaden lehrt, ist aber mit Ossi weder verwandt noch verschwägert. Nur geistig ist eine gewisse Verwandtschaft zu erkennen, wie seine Fast-Rezension zeigt, die ich hier gerne wiederhole:

Ihr habt ein wunderbares Buch
geschrieben, es liest sich runter wie ein Krimi und
hinterher schwirrt einem der Kopf von den vielen neuen
Ideen, die man beim Lesen aufgeschnappt hat. Ich bin froh,
Dich zu kennen, sonst hätte ich das Buch vielleicht erst
viel später gefunden. Also nochmal: Gratulation, toll
gemacht.

Ich merke schon, so geht es nun auch nicht. Stimmt zwar
alles, was ich geschrieben habe. Nur wird es dem Buch
nicht gerecht. Es ist ja kein Krimi. Es ist ein
philosophisches Buch. So habe ich es dem Frankfurter
Buchhändler gesagt, der es bei „Ratgeber in Rechtsfragen“
eingeordnet hatte.

Das ist der erste Punkt: Wie erreicht ihr die Zielgruppe
und — wer ist die Zielgruppe? Ein gut geschriebenes und
sorgfältig editiertes Buch (da hat sich der Verlag richtig
reingehängt), für das man auch noch bezahlen soll, das
wirkt bei dem Thema fast paradox. Aber gut, der Wegweiser
muss bekanntlich nicht vorangehen. Ich hab es meinen
Studenten ans Herz gelegt. Sie sind lieb und werden es
kaufen. Aber die meisten Kids werden sich fragen, warum
sie sich wohl von zwei Opis ihre Welt erklären lassen
sollen. (Opa Max denkt natürlich trotzdem darüber nach,
wie man das Buch für ein Seminar nutzen könnte. Dazu
später mal mehr.)

Also Zielgruppe gebildeter Mittelstand. Dann passt alles,
hier wird das Buch einschlagen. Wenngleich vielleicht
nicht so schnell wie erwartet. Was der Sascha Lobo jetzt
auf Spiegel online zur Quasiprivatheit des Netzes
verfasst, das ist einfach nur ärgerlich, wenn man dazu
Euere Überlegungen gelesen hat.

Die Gedankenfülle ist umwerfend. „Die Upanishaden handeln
insofern auch von den Bedingungen der Möglichkeit
vernetzter Informationsverarbeitung.“ Drei Kulturen in
einem kurzen Satz — wow! Dabei, grosses Kompliment, hat
man nie den Eindruck, ihr würdet über den Text
hinschludern. Ausnahme (aus meiner Sicht) sind die kurzen
Bemerkungen zum Entscheidungsproblem. Das ist schweres
Zeug, aber man kann es klarer schreiben. Auch die offenbar
zentrale „Lehre der Spinne“ könnte noch etwas
verständlicher rüberkommen.

Hochinteressant die Gedanken zur Zukunft der Demokratie.
Und mir aus dem Herzen gesprochen. Gauck und Co hätten
mich mit ihrem angstvollen Gelaber fast erstmalig zum
Nichtwähler gemacht. Zukunft der Politik, Zukunft der
Arbeit, Rolle des Staates — Euer Text gehört zum Besten,
was ich seit langem gelesen habe. Ein beneidenswertes
Talent, klar zu denken und klar, dazu noch witzig, zu
schreiben.

Man nimmt praktische Anregungen mit. (Bei mir z.B.: social
media guidelines für Uni machen, wie soll man mit
Plagiatsjägern umgehen, was wird aus eLearning, mal wieder
bei twitter vorbeischauen und endlich lernen, wie man Ossi
diesen Text per facebook schickt.)

Andere Sachen brauchen tieferes Nachdenken. Geradezu
augenöffend die Bemerkungen zu Universalität und
Menschenrechten. Da muß ich weiter nachedenken. Auch
darüber, wie Institutionen als Teile sozialer Netzwerke
funktionieren. Nämlich offenbar schlecht. Wir mühen uns
als EBS seit langem erfolglos. Selbst die Stars (e.g. Harvard
Business School mit Millionenetat hat weniger followers
als ein mittelguter blogger). Fehlt Institutionen
vielleicht irgendwas?

Was fehlt mir? Viel mehr vom letzten Teil. Ihr seid auf
dem richtigen Weg: was wir brauchen ist eine Sprache für
die neue Welt, die uns Orientierung und Sicherheit für das
Leben in jenen unbekannten Gebiete gibt. Wir sind zögernd
oder auch frohlockend auf dem Weg. Ihr beiden seid weit
voraus, umgeben von lärmenden Kids. Aber denen fehlt das
Handwerkszeug des Humanisten, von denen wird keine grosse
Hilfe kommen, wenn es um sprachlich-kulturelle Kontinuität
geht. Ihr habt alles Recht stolz zu sein, auf das Buch.
Aber ich habe den Eindruck, die Arbeit muß weitergehen.

Einverstanden: Selbst Denken ist gefordert. Aber es geht
nicht um eigenbrötlerisches Sinnieren. Es geht um den
gesellschaftlichen Diskurs. Den müsst ihr mit weiterer
Pionierarbeit an den Begriffen befördern helfen.

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