Hut ab, Herr Richter!

Nicht die Justiz, sondern die Münchner Stadtverwaltung ist schuld daran, dass sich Bayern mit der Justizposse gegen die Landtags-Raucher bis auf die Knochen blamiert hat. Das muss Folgen haben!

Ich muss mich förmlich bei der Münchner Amtsrichterschaft entschuldigen. Ich habe sie an dieser Stelle (siehe „Stunde der Wahrheit für die Raucher“) Ludwig Thomas und das Königlich Bayerische Amtsgericht bemüht und damit die Damen und Herren in den schwarzen Roben kollektiv verunglimpft.

Das war bevor ich Thomas Jung kennengelernt habe. Er hatte am vergangenen Mittwoch über die beiden Landtags-Raucher Joachim Schwoch und Elke Korte zu urteilen, die Widerspruch eingelegt hatten gegen den Bußgeldbescheid, den ihnen das Kreisverwaltungsreferat München Anfang 2008 wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz auferlegt hatte.

Ich selbst durfte zwar nicht erleben, wie Richter Jung die Sitzung eröffnete und die Angeklagten vernahm, denn als Zeuge musste ich inzwischen draußen im Gang warten. Aber Raucherkollegen, die als Zuschauer im Saal saßen und gelegentlich, dem Ruf der Natur gehorchend, den Saal Richtung Gerichtstoilette verließen, hielten mich auf dem Laufenden. Streng sei er, der Herr Richter, und ein bisschen kurz angebunden. Was das Ganze den sollte, und ob die Angeklagten ihm etwas vormachen wollten als sie behaupteten, sie hätten gar nicht demonstriert – natürlich hätten sie das. Auch wenn sie es anders nannten. Es sah so aus, als ob es den befürchteten kurzen Prozess geben würde, an dessen Ende der Zorn Justitias mit voller Wucht auf die armen, fehlgeleiteten Raucher herab blitzen würde.

Und dann trat der Staat in Form von Polizeiobermeisterin Yvonne Saller vor den Richtertisch. Sie hatte die grüne Uniformjacke, die sie am 7. Oktober als Wachhabende am Tor des Landtags getragen hatte, gegen ein modisches Modell mit schwarzer Spitze ausgetauscht und sah wie eine sympathische junge Frau, was sie auch ist. Ich kann das bestätigen, denn auch sie war ja als Zeugin geladen und musste draußen warten. Wir haben uns sehr freundlich unterhalten, und es war klar, dass sie die Sache genauso absurd fand wie ich. Sie hatte das Pech, an diesem Tag für die erkrankten oder im Urlaub weilenden Kollegen von der Landtagswache einspringen zu müssen. Sie selbst ist im Hauptberuf ganz normale Streifenbeamtin im Bogenhausener Revier, und von Dingen wie Bannkreise und Schutzbereiche hatte man ihr nur ganz am Rande was erzählt. Und so hat sie, als sie auf einmal von 40 bis an die Zähne mit Zigarren bewaffneten Herren mittleren Alters konfrontiert sah, zunächst auch nur wie eine Verkehrspolizistin gedacht und uns auf die andere Straßenseite geschickt, um die Zufahrt zum Landtag wieder frei zu bekommen. Dass sie uns damit zu einer Straftat aufforderte, nämlich innerhalb des Bannkreises zu bleiben, war ihr nicht klar. Woher denn auch?

Aber der Zorn von Richter Thomas Jung, so wurde mir berichtet, wendete sich schon nach den ersten Sätzen ihrer Aussage von den Angeklagten ab und zuerst auf die schmale Gestalt der armen Frau Saller, dann auf die Beamtenschaft als Ganzes. Dass auch von den danach in Mannschaftsstärke herbeigeeilten Polizisten keiner gewusst habe, wo sich die Grenzen der Bannmeile befinden, das strapazierte die Geduld des Mannes in Schwarz doch zusehends. Ein anwesender Reporter der „Abendzeitung“ notierte denn auch den genervten Nebensatz „Beschäftigungstherapie für Amtsrichter“, mit dem Jung seinen zunehmenden Unmut über das Schauspiel offenbarte, das sich ihm geboten wurde.

Es folgte der inzwischen legendäre Satz, mit dem Richter Jung dem Theater ein Ende machte: „Wenn nicht einmal die Polizei weiß, wo die Bannmeile verläuft, wie soll es dann der Bürger wissen“. Sprach‘s, stand auf uns verließ mit sichtbar saurer Miene den Saal, während sich die Angeklagten und die zur moralischen Unterstützung angereisten Mitraucher strahlend die Hand schüttelten oder sich auf die Schulter klopften.

Ich durfte im Gerichtssaal keinen Hut tragen, aber hätte ich einen auf gehabt, ich hätte ihn vor Richter Jung abgenommen. Er hat mit ein paar knappen Fragen und der Präzision eines Chirurgen den Kern des ganzen unsinnigen Verfahren bloßgelegt und einen von juristischem Sach- sowie gesundem Menschenverstand geprägtes Urteil gefällt, knapp und schnörkellos, wie es offenbar seine Art ist. Und er ist dann zur Tagesordnung übergangen, denn auf einen Richter am Amtsgericht München warten wichtigere Aufgaben, als den Vorsitz einem juristischen Kasperltheater zu führen.

Ich muss mich also entschuldigen, aber nicht nur bei Richter Jung, sondern auch bei seinen Kollegen. Denn einen Tag nach seinem Urteilsspruch meldeten sich vier weitere Raucher, denen in den nächsten Tagen der Prozess gemacht werden sollten, mit der frohen Botschaft, dass auch ihr Verfahren ohne Auflagen – sprich: auf Staatskosten – eingestellt worden seien. Sie müssen also nicht extra in die Nymphenburger Straße fahren, stundenlang herumsitzen, Fragen beantworten und mit sorgenvoller Spannung auf den Spruch des Richters warten. Denn auch wenn einer von uns freigekommen ist, hätte das ja nicht automatisch bedeutet, dass ein anderer Richter nicht anders urteilen kann.

So ganz vorbei ist die Sache nicht. Ich habe zum Beispiel noch keinen befreienden Brief vom Gericht bekommen, wo ich am 2. Juni vorgeladen bin, um mich gegen den erweiterten Vorwurf zu verteidigen, ich hätte aktiv im Internet zu einer verbotenen Demonstration aufgerufen – eine schwere Anschuldigung, die als Straftat mit hohen Geldbußen oder sogar Gefängnis bestraft werden kann. Zum Glück sitzen in der Münchner Staatsanwaltschaft genauso vernünftige Menschen wie Richter Jung, denn das entsprechende Strafverfahren gegen mich war ja schon im letzten Sommer mit der knappen Begründung eingestellt worden: „Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung ist nicht gegeben.“

Das heißt, eigentlich doch. Nur lag das Interesse nicht bei der Justiz, sondern bei den Verwaltungsbeamten des Kreisverwaltungsreferats München. Warum das so ist, erschließt sich dem Außenstehenden nicht sofort. Immerhin ging es ja um eine Angelegenheit des Freistaats, sprich der Landtagsverwaltung, die als Hausherr und damit als Betroffene doch nach Laienverständnis für das Ahnden von Verletzungen ihrer durch Landesgesetz geregelte Schutzzone zuständig sein müsste. Dass diese aber ebenso wenig Interesse wie die Justiz an einer Fortsetzung der peinlichen Darbietung hatten, war spätestens seit dem Brief bekannt, den Landtagsvizepräsident Prof Gantzer am 12.12.2007 an Justizministerin Dr. Beate Merk schrieb und in dem es heißt: „Ich rege an, darüber nachzudenken, ob es wirklich notwendig ist, friedliche Zigarren-Raucher, die ohne jegliches Unrechtsbewusstsein vor dem Landtag eine halbe Zigarre geraucht haben, strafrechtlich zu verfolgen.“

Damit bleibt der Schwarze Peter klar und eindeutig in der Ruppertstrasse, nämlich in der Hauptabteilung I („Sicherheit und Ordnung“) des KVR München. Ob es wirklich in Zimmer C227 abzugeben ist, nämlich beim Sachbearbeiter Herr Dietrich, der mir am 8. Juli 2008 den Bußgeldbescheid über 528,50 Euro ausstellte, oder ob nicht lieber gleich im Büro des Behördenleiters, des berufsmäßigen Stadtrats Wilfried Blume-Beyerle, der seit 1999 dort zuständig ist.

Es spricht einiges für die letztere Variante, denn bei der Justizposse um die Landtagsraucher handelt es sich meines Erachtens durchaus um ein Politikum. Hier hat ein von jeglichem Empfinden für Verhältnismäßigkeit losgelöster Beamtenapparat sich in stupider Selbstbeschäftigung zwischen die Interessen von Staat und Bürger gestellt. Sie hat als Exekutive den beiden anderen Armen der Staatsgewalt, nämlich Justiz und Parlament, vermeidbaren Kosten, Arbeit und Ärger bereitet und sich damit verantwortungslos gehandelt. Das muss Folgen haben!

Man könnte den Schwarzen Peter nämlich auch woanders abladen: Im Münchner Rathaus, und dort im Amtszimmer von Oberbürgermeister Christian Ude, dessen Jobbeschreibung auch die Aufsichtspflicht über die städtische Beamtenschaft und insbesondere über das KVR umfasst.

Der Fall „Landtags-Raucher“ ist, so gesehen, kein Justiz-Skandal, sondern ein Verwaltungs-Skandal. In Ersterem hat Richter Jung das letzte Wort gesprochen. Im Letzteren wird noch manches auszusprechen sein.

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