Ist Rassismus demokratiefähig?

Zur Causa Sarrazin ist eigentlich alles gesagt worden in den letzten Tagen. Dass der Mann ein Rassist ist, weiß nun jeder. Wahrscheinlich empfindet er das  sogar als Auszeichnung. Man könnte also eigentlich zur Tagesordnung übergehen und hoffen, dass die ganze Aufregung ebenso schnell wieder abklingt wie die um das Buch seines geistigen Verwandten Frank Schirrmacher, der ihn in der FAZ am Sonntag als „Ghostwriter einer verängstigten Gesellschaft“ in Schutz nimmt. Nun, FS weiß, wovon er redet. Allenfalls wird er sich darüber ärgern, dass jemand anderer ihm diesen Ruf streitig macht.

Die Diskussion um Dinge wie das „Juden-Gen“ und die angeborene Dummheit gewisser Migrantengruppen schlägt jedoch in dem Aufsatz von Thomas Steinfeld in der heutigen Ausgabe der „Süddeutschen“ auf einmal ins Nachhaltige um, wenn dieser den Begriff des „demokratischen Rassismus“ einführt und schreibt:

„Es ist unangenehm, ja sogar peinlich, sich Rechenschaft abzulegen darüber, dass es einen demokratischen Rassismus gibt. Aber es gibt ihn, in allen Parteien, in weiten Teilen der Bevölkerung, überall, wo überhaupt die Vorstellung einer natürlichen Staatsangehörigkeit auftaucht. Und es mag schädlicher sein, diesem Ressentiment nur verhohlen nachzugeben, als es offen auszusprechen.“
Denn damit hat er etwas unter dem Teppich hervorgekehrt, dass sonst stets unausgesprochen bleibt: Was ist, wenn die Rassisten in einem Land keine gesellschaftliche Randgruppe, sondern eine heimliche Mehrheit sind? Oder anders gefragt: Kann man gleichzeitig Rassist und Demokrat sein?

Eigentlich sollten sich diese beiden Begriffe gegenseitig ausschließen, so jedenfalls die instinktive Reaktion jedes humanistisch Denkenden und Empfindenden. Demokrat sein heißt doch qua definitionem, andere zu respektieren und zu tolerieren. „Ich empfinde das, was Sie sagen, als abscheulich, würde aber Ihr Recht, es zu sagen, mit meinem Leben verteidigen“, lautet ein oft paraphrasiertes Zitat von Voltaire.

In einem Beitrag für ein Buch über die Absatzmärkte Asiens, an dem ich gerade als Herausgeber arbeite, schreibt Andreas Richter, der seit Jahren in Bangkok als Anwalt lebt und arbeitet, über die Unruhen, die das Land des inzwischen etwas gequälten Lächelns in den vergangenen Jahren erschüttert haben:

„Thailand durcherlebt im Grunde seit Jahren die Geburtswehen einer sich noch entwickelnden Demokratie. Das Demokratieverständniss des Volkes und seiner Vertreter ist noch wenig ausgereift.“
Und es drängt sich mir die Frage auf: Ist es das wirklich? Ist das Demokratieverständnis in meiner eigenen Heimat, das sich gerne als die Erfinder und Gralshüter des modernen Demokratiebegriffs versteht, wirklich sehr viel weiter, wenn die Aktivisten der „Tea Party“ den von der Mehrheit gewählten Präsidenten ganz offensichtlich vor allem deswegen die Legitimation absprechen, weil er Schwarz ist? Gut, sie sprechen es nicht so offen aus. Aber wenn der rechtsradikale Radiomoderator Rush Limbaugh das Staatsoberhaupt routinemäßig als „Imam Hussein Obama“ diffamiert, und wenn ein gutes Drittel der Amerikaner offen Zweifel an der wahren Staatsbürgerschaft des Präsidenten äußern, dann sind das doch nur eine notdürftig verkleidete Form von Rassismus, oder?

Oder ist es vielleicht nur Fremdenfeindlichkeit? Beide Begriffe werden ja gerne in einen Topf geworfen. Obama hat nun mal eine andere Hautfarbe als alle Präsidenten vor ihm. Lehnen ihn weite Teile der amerikanischen Bevölkerung ab, weil er Schwarz ist oder weil er anders ist?

Sarrazin macht zwischen beiden offenbar keinen Unterschied. Ob die Einwanderer, über die er herzieht, von Natur aus dumm sind oder nur aus einer Kultur stammen, die verdummt, wird mir jedenfalls aus seinen Äußerungen in Interviews nicht klar. Ist auch egal – so lange es eine schweigende Mehrheit gibt, die auch so denkt. Dort lauert die eigentliche Gefahr. Und dort muss auch der Versuch ansetzen, den Rassismus in Deutschland zu bekämpfen: Die deutsche Gesellschaft ist zu homogen. Wer mit etwas dunklem Teint herumläuft, fällt hierzulande immer noch auf, wird als fremd empfunden.

Daran hat auch die Tatsache wenig geändert, dass die Deutschen als „Reise-Weltmeister“ eigentlich den Anblick von Menschen, die anders aussehen als sie, gewohnt sein müssten. Im aktuellen „Spiegel“ plaudert die Chefin des Beschwerdemanagements beim Reiseveranstalter TUI aus der Schule und offenbart dabei ein Psychogramm der Deutschen, wie man ihn selten so deutlich serviert bekommt. Als typisch wird da der Spanienurlauber zitiert, der sich darüber aufregt, dass es am Strand so viele Spanier gebe – gehören die etwa hierher?

Was, wenn die Mehrheit tatsächlich so denkt, nur haben wir es bislang entweder nicht gewusst oder schlicht verdrängt? Und was, wenn der demokratische Rassismus jetzt, wo Herr Sarrazin ihn endlich hoffähig gemacht hat, vielleicht in etwas abgeschwächter und beschönigter Form von Mainstream-Politikern aufgegriffen wird?

In einem solchen Land möchte ich nicht leben. Aber vielleicht habe ich ja gar keine Wahl.

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