Knapp vorbei ist auch daneben

Der Weg in die Computergesellschaft ist mit Fehlprognosen gepflastert. Immer wieder haben sich ziemlich gescheite Leute ziemlich lächerlich gemacht, indem sie in der Regel die Dynamik unterschätzt haben, mit der sich die Menschheit den Weg in die digital vernetzte Zukunft gesucht hat. „Computer sind absolut nutzlos. Sie können nur Antworten geben.“ Dieser Satz von Pablo Picasso (1881-1973) enthält am Ende vielleicht sogar ein Kern verschmitzter Weisheit, aber Ken Olsen, der Gründer von Digital Equipment Corporation, lag wohl völlig daneben, als er unkte: „Es gibt keinen Grund, warum irgendjemand einen Computer in seinem Haus haben wollen würde.“ Nun ja, DEC verschwand ja auch 1998 sang- und klanglos von der Bühne und wurde von Compaq übernommen.

Einer, der besonders häufig mit seinen Weissagungen daneben lag, hat es dennoch (deshalb?) zum reichsten Mann der Welt geschafft: Bill Gates, der legendäre Gründer von Microsoft, das seinen Aufstieg dem Personal Computer verdankte: 1980 bekam Gates und sein Freund und Mitbegründer der kleinen Firma, Paul Allan, einen Auftrag von IBM, das Betriebssystem für den ersten Personal Computer von Big Blue zu entwickeln. Aus „MS-DOS“ wurde später Windows, das Millionen von PCs auf der Welt bis heute antreibt.
Gates gab Hunderte von Interviews, eines davon mir. Darin sagte er (wir schrieben das Jahr 1985, Billy war gerade 30 Lenze jung und schon Milliardär) auf die Frage: „Was wir das nächste große Ding in der Computerei“ mit fester, bestimmter Stimme: „Voice!“ Bald würden wir alle mit unseren Computern reden, und sie würden uns aufs Wort gehorchen.

Als ich erstaunt nachfragte, wann das wohl sein würde, sagte er: „Voice is tricky!“ („Sprache ist kompliziert“). Es würde sicher noch fünf, sechs Jahre dauern.
Nun, am Ende hat er ja Recht behalten. Apples Siri, Amazons Alexa oder Microsofts Cortana können heute einfache Fragen beantworten und simple Anweisungen mittels Spracheingabe ausführen, wie „such‘ die Nummer vom Pizza-Express“. Er hat sich nur um schlappe 20 Jahre in der Zeit verschätzt.

Viel blamabler war der Satz: „Niemand braucht mehr als 640 kB RAM in seinem PC.“ Gates sagte das angeblich auf einer Computer-Show im Jahr 1981. Damals konnten die 8/16-bit Prozessoren in den gängigen PCs tatsächlich nicht mehr wie 640 kB Arbeitsspeicher verwalten. Dass wir eines Tages Computerspeicher in Terrabytes oder Petabytes messen würden, konnte er nun wirklich nicht ahnen, oder?

Eine weniger bekannte, aber womöglich für die Zukunft der Digitalen Gesellschaft viel gravierende Fehlprognose steckt in der Antwort, die Gates 1995 auf die Frage eines Journalisten nach dem Stand der Ermittlungen der US-Justiz gegen seine Firma gab. Microsoft wurde vorgeworfen, PC-Hersteller zu zwingen (oder sie mit Preisnachlässen dazu zu ködern), den hauseigenen Web-Browser Explorer standardmäßig in ihren Produkten vorzuinstallieren und damit Konkurrenten wie Netscape oder Opera auszubremsen. „Dieses Kartell-Ding wird sich in Wohlgefallen auflösen” sagte Gates.

Der Prozess vor einem Bundesgericht schleppte sich über fünf Jahre hin, und am Ende verkündete ein Urteil, das Microsoft im Endeffekt zerschlagen hätte. Der Konzern sollte in zwei Teile gesplittet werden, einen Software-Hersteller und einen Anbieter von Betriebssystemen. Zwar gelang es Microsoft, dieses drakonische Urteil in der Berufung abzuwenden, indem es sich mit dem Justizministerium darauf einigte, den Quellcode von Explorer zu veröffentlichen und ein Aufsichtsgremium zu akzeptieren, dass die Geschäftspraktiken in Redmond, dem Microsoft-Hauptquartier, überwachen sollte. Den Europäern ging dieses Urteil nicht weit genug, und im Jahr 2013 verdonnerte die EU-Kommission Microsoft wegen unlauterer Geschäftspraktiken zu der damaligen Rekordstrafe von 561 Millionen Euro.

Woraus wir (und die großen Internet-Konzernen) vor allem eines lernen: Niemand ist zu groß, als dass ihn nicht irgendwann der lange Arm des Gesetzes schnappt. Wir dürfen gespannt sein, was alles noch kommt…

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