Todesstrafe für Handyklingeln

Es ist der endgültige Albtraum. Und das nicht nur für den Betroffenen, aber man stelle sich vor: Beim Konzert des New York Philharmonic Orchestra geht auf einmal dein Handy los. Auch noch dieser fruchtbare Marimba-Klingelton von Nokia, den die ganze Welt mit Inbrunst hassen gelernt hat, und das mit voller Lautstärke.

Was machst du? Ganz klar: Du bleibst regungslos sitzen und betest, betest dass der Anrufer doch bitte, bitte gleich auflegen möge und niemand mitbekommt, das du es bist, der vergessen hat, vor dem Konzert den roten Ausschaltknopf zu drücken. Aber leider ist der andere hartnäckig, und so klingelt es und klingelt, während der Dirigent vor dir die sanften, spirituellen Klangwolken von Mahlers 9ter abrupt zum Schweigen bringt, sich zu dir umdreht und in einer Stimme, die bis in die letzte Reihe des Avery Fisher Hall zu hören ist, dich fragt ob es das jetzt endlich war?

Du sitzt da auf deinem Tausend Dollar-Sitz in der Reihe eins und hörst, wie um dich herum sonst eher wertkonservative Konzertgänger wütend brüllen; „Schmeißt den Kerl raus!“, und „Tausend Dollar Geldstrafe!“ Der Blogger Max Kinchen, der ein paar Reihen weiter oben saß, schrieb später: „Sie wollten Blut sehen.“ Wenn man sie in diesem Moment befragt hätte, wette ich, dass eine Mehrheit der Konzertbesucher für die Einführung der Todesstrafe beim Nichtabschalten des Handys im Konzertsaal gestimmt hätten.

Ich musste gestern Abend daran denken, als wir im Gasteig saßen und den Münchner Philharmonikern lauschten, die sich vom unnachahmlichen, unverwüstlichen Georges Prêtre durch die aufwühlenden Anfangsakkorde von Beethovens „Eroica“ führen ließen. Die Dame neben mir war ganz woanders: Sie checkte immer noch auf ihrem iPhone ihre E-Mails. Okay, sie machte das lautlos, aber trotzdem war bei mir die Luft raus – Beethoven und die Philharmoniker werkelten weiter, aber ich konnte an nichts anderes denken als: Was, verdammt noch mal, ist in diesem Moment wichtiger als die Musik? Und ja, eine Sekunde lang spürte auch ich Blutgier in mir aufsteigen: Jetzt das Handy nehmen und der Kuh damit so lange auf den Kopf hauen bis…

Na ja, ich habe mich wieder beruhigt, und ungefähr Mitte des ersten Satzes war ich wieder drin in dem Stück, im Dritten war ich im Siebten Himmel und am Ende habe ich den alten Teufelskerl Prêtre mit „Bravo!“-Rufen gefeiert, der mit seinen 86 Jahren ohne Noten dirigiert (und oft gar nicht dirigiert, sondern einfach seinem Orchester zuhört, bis sie wieder an der entscheidenden Stelle seine Hilfe brauchen, die er ihnen mit zwei, drei kleinen Bewegungen des Taktstocks gibt, nur um sie wieder alleine weitermusizieren zu lassen, in der Sicherheit, dass sie genau wissen, was er von ihnen will; der einzige, der das noch konnte, war unser unsterbliche Sergiu Celibidache).

Die Dame mit dem iPhone habe ich beim Herausgehen mit verächtlichem Wegschauen bedacht, was sie vermutlich nicht weiter bekümmert hat. Sie weiß gar nicht, wie knapp sie davor war, Opfer von konzertanter Handy-Wut zu werden.

Hoffentlich vergesse ich beim nächsten Mal nicht, das Ding auszuschalten…

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