Unser vergiftetes Spracherbe

Es ist erstaunlich, wie sehr die deutsche Alltagssprache auch heute noch von der Sprachvergiftung durch den Nationalsozialismus verseucht ist, und wir benützen viele besudelte Wörter und Redewendungen, ganz ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wes Geistes Kind sie einmal waren. Das gilt natürlich in besonderem Maße für die aufkeimende ultrarechte Szene, wo man sich besonders gerne Anleihen aus dem Wörterbuch von Goebbels & Co. nimmt.

Eines der besten Bücher zu diesem Thema hat der Düsseldorfer Germanist Horst Dieter Schlosser 2013 geschrieben. Es heißt Sprache unterm Hakenkreuz und beantwortet auf 384 Seiten ausführlich die Frage, welche menschenverachtende Worthülsen sich noch in unserer Umgangssprache verstecken. Schlosser sagt, dass Diktaturen nicht nur physische Gewalt, sondern auch sprachliche Mittel verwenden, um ihren Machtanspruch zu verfestigen. Man muss nur anschauen (bzw. anhören), welcher Sprache sich Trump gerade bedient, um den demo9kratischen Prozess zu unterwandern und seine Machtansprüche zu verfestigen. „Stop the Steal“, „Bad Things“, „illegal votes“, „stolen election“.

Auch sehr empfehlenswert: Verbrannte Wörter – Wo wir noch reden wie die Nazis und wo nicht vom „Welt“-Redakteur Matthias Heine, erscheinen 2019 im Duden-Verlag. Er zitiert Beispiele wie „Bombenwetter“, „Blut und Boden“, „Rassenhygiene“ oder „Volk“ und „völkisch“ in all ihren Abwandlungen, die zum Stammrepertoire von Goebbels & Co. gezählt haben.

Einige vergiftete Wörter wie „asozial“ oder „entartet“ sind eindeutig, tauchen aber trotzdem gelegentlich in umgangssprachlichen Unterhaltungen oder sogar in Zeitungsartikeln auf – unkommentiert.

Selbst scheinbar harmlose Wörter wie „entrümpeln“ haben eine braune Vergangenheit. Es handelt sich um eine NS-Wortschöpfung, um die Bevölkerung dazu zu bringen, angesichts der zunehmenden Bombenangriffe der Alliierten ihre Dachböden von leicht brennbaren Gegenständen zu befreien. Obwohl als Propagandawort zwecks Kriegsvorbereitung entstanden, ist eine Verwendung heute bedenkenlos, schreibt Heine.

Dasselbe gilt für den von den Nazis beworbenen „Eintopf“. Es kam in den 30er-Jahren auf im Zusammenhang mit den sogenannten „Eintopf-Sonntagen“, die Anfang der 30er-Jahre dem deutschen Volk von oben verordnet wurden, da sollte man einmal im Monat immer nur sonntags statt des Sonntagsbratens einen Eintopf kochen und das gesparte Geld dem Winterhilfswerk, der Nazi-Hilfsorganisation, spenden.

Mit Vorsicht zu verwenden sind Begriffe wie „bis zur Vergasung“, der eigentlich aus der Physik stammt, aber dank seiner Assoziationen mit dem NS-Vernichtungsapparat einen fahlen Beigeschmack hat.

Der oberösterreichische Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred Haimbuchner von der FPÖ hat neulich beim politischen Aschermittwoch erklärt: „Wir wollen, brauchen und verteidigen die Festung Europa!“ Seinen Text hat er sich bei Joseph Goebbels ausgeborgt, der ihn auch schon im Dritten Reich propagierte.

Wörter wie „gleichgeschaltet“ gehören inzwischen wieder zum Sprachschatz der Rechtspopulisten.

Wenn Politiker, Verwaltungsbeamte und auch Künstler selbst von „Kulturschaffenden“ sprechen, denkt keiner von ihnen daran, dass dieser Begriff erst mit der Gründung der Reichskulturkammer 1933 in den Wortschatz der Deutschen aufgenommen wurde. Ironischerweise wurde er auch später von der DDR-Diktatur freudig aufgenommen und weiterverwendet.

In seinem „Wörterbuch des Unmenschen“ wiesen Sternberger, Dolf, Storz, Gerhard und Süskind schon 1962 nach, dass Wörter, die in der NS-Zeit aufgekommen sind, oft zur Vernebelung bestimmter bürokratischer und parteilicher Vorgänge bis hin zur Vernebelung von Tötung verwendet wurden. Man sagte „betreuen“ und meinte „töten“. Es sei eine bitter Pointe, sagte Heine in einem Interview, „dass zum Beispiel die Betreuung, also der Umgang mit Behinderten, früher hätte man gesagt Entmündigten, mit dem Wort betreuen juristisch geregelt wurde – und diese Leute wurden mit dem gleichen Wort zur Nazizeit getötet, umgebracht.“

Heine gibt heute den Rat, „sich immer genau selber überlegen, was man sagen möchte.“ Aber eine Sprechpolizei, die fordert er dann doch nicht: Das würde zu sehr an die Nationalsozialisten erinnern….

 

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