Warum Frank Schirrmacher nicht mehr mitkommt

Eigentlich sollte man einen, der nicht zwischen körperbindigen Gewebe mit eingestreuten Noppen aus grobem Wollgarn und einem Eintrag in einem neuartigen sozialen Netzwerk unterscheiden kann, nicht besonders ernst nehmen. Wenn er aber Frank Schirrmacher heißt und sich anmaßt, ein Buch über das Informationszeitalter zu schreiben, dann kann man nicht umhin, sich mit ihm auseinander zu setzen. Schließlich wird er einem ja gerade von allen Seiten vorgesetzt, im „Spiegel“, in der alten Tante „FAZ“ (deren Herausgeber er ist) und natürlich auf den Feuilletonseiten der „Süddeutschen“ – dort wenigstens mit der nötigen kritischen Distanz. Immerhin ist dem SZ-Autoren Adrian Kreye der hochnotpeinliche Tippfehler in Schirrmachers Aufzählung der apokalyptischen Reiter des Digitalen aufgefallen („SMS, E-Mails, Feeds, Tweeds…“).

Ansonsten könnten wir alle zur Tagesordnung übergehen und „Payback“, das jüngste Angstmacherbuch Schirrmachers, auf den gleiche Müllhaufen der Geschichte werfen wie sein böswilliger Versuch, im „Methulsalem-Komplott“ die Jungen gegen die Alten aufzubringen, oder sein prekäres Gelabere über soziale Entwurzelung in „Minimum“. Die Bretter, die Schirrmacher bohrt, sind von solch hauchdünner Konsistenz, dass es sich kaum lohnt, die Sägespäne wegzuwischen.

Wenn er aber in „Payback“ nun die „kognitive Krise“ ausruft und den drohenden Kollaps  des menschlichen Denkvermögens unter der Last der digitalen Informationsflut ankündigt, dann muss man vielleicht doch innehalten und erwidern. Obwohl er ja selbst im Grunde ja zugibt, von seinem Thema überfordert zu sein. „Mein Kopf kommt nicht mehr mit“, heißt ja auch das erste Kapitel. Da kann man ihm nur beipflichten: Stimmt, Herr Schirrmacher, Ihr Kopf kommt nicht mehr mit.

Aber wieso nimmt er sich das Recht heraus, über die Köpfe der anderen zu reden? Wo hat er diese Chuzpe her? Warum darf einer, der erkennbar weder Digital native noch Digital Immigrant, sondern in Wahrheit ein digitale Xenophobe der verbohrtesten Sorte ist, einem Millionenpublikum seine halbfermentierten, selbstbezogenen Geistesverirrungen als Gelehrtenmeinung verkaufen? Wo bleiben die faulen Tomaten, wo die Saaldiener, um ihn durch den Bühneneingang in die Gasse hinter dem Theater zu werfen?

Schirrmacher ist, wie Adrian Kreye richtig erkannt hat, der Boulevardjournalist unter den Philosophen, einer der mit sichere Instinkt die vagen Ängste seines Publikums auf den Punkt bringt und in kulturpessimistisch veredelt. In einem anderen Zeitalter haben Leute wie er Dolchstoßlegenden erfunden oder Juden als die Ursache allen Übels ausgemacht. „Er ist an zwei Dingen interessiert“, sagt Michael Douglas in „American President“, „er will Ihnen Angst davor machen und Ihnen sagen, wer schuld daran ist. So, Ladies und Gentlemen, gewinnt man Wahlen.“ Und so, möchte man mit Blick auf Frank Schirrmacher hinzufügen, verkauft man in Bedenkenträger-Deutschland Bücher.

Schirrmachers Sicht der Informationsgesellschaft ist eine mechanistische, und sie ist zutiefst menschenverachtend. Überflute die Leute nur lange genug mit Informationen, und sie werden aufhören, selbständig zu denken und nur noch fremdgesteuert durchs Leben torkeln. Er kann sich nicht vorstellen, dass Menschen sehr wohl die Fähigkeit besitzen – oder dabei sind, die Fähigkeit zu entwickeln – haarscharf zwischen relevanten und irrelevanten Informationen zu unterscheiden. Er sieht sie als Vieh, das nur stumm widerkäuen und sich ansonsten von medialen Hirten, wie er selbstverständlicher einer ist, vorantreiben lassen muss in eine ungewisse Zukunft.

Und Schirrmacher hat keine Ahnung von Evolution. Er kann – oder will – nicht erkennen, dass Homo Sapiens sich in den vergangenen 30.000 Jahren stets und immer wieder einer veränderten Kommunikations- und Informationsumgebung anpassen musste, und dass er es ganz gut gemacht hat. Der Mensch des Jahres 2009 ist nicht die Krone der Schöpfung, für die sich Schirrmacher selbst offenbar hält, sondern eine Zwischenstufe in einer Entwicklung, die erst dann zu Ende sein wird, wenn unsere Sonne vielleicht einmal verglüht und der letzte Mensch die Augen schließt. Bis dahin werden wir fortfahren, und immer und immer wieder den neuen Herausforderungen zu stellen, die Veränderung – wir wollen lieber nicht von „Fortschritt“ reden – in den Informations- und Kommunikationstechnologien ihnen abverlangt.

Ja, Jugendliche leiden immer häufiger unter CPA, dem „Continous Partial Attention Syndrome“, den die Microsoft-Anthropologin Linda Stone vor Jahren diagnostizierte und die eine starke Ähnlichkeit mit dem Multitasking eines PC hat. Das ist aber keine Zivilisationskrankheit, sondern eine evolutionsbedingte Anpassung an eine veränderte Umwelt. Stone selbst beschreibt CPA als eine Reaktion auf die wachsende Zahl von Kommunikationsangeboten, die uns über eine wachsende Zahl von Kanälen erreichen. Unsere Reaktion darauf sei triebgesteuert, sagt sie, denn wir nehmen den Versuch, mit uns zu kommunizieren, als Hilferuf wahr: Hier ist ein Mensch, der will zu dir! Die Evolution hat uns mit gutem Grund mit dem instinktiven Wunsch ausgestattet, auf solche Rufe zu antworten, weil er uns einen Vorsprung verschafft im ewigen Rennen ums das Überleben des Einzelnen und seiner Art.

Schirrmacher hat das nicht verstanden. Er ist also selbst irrelevant. Die dringend anstehende Diskussion darüber, wohin der Mensch im Zeitalter der Vernetzung steuert, müssen andere führen.

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