KaDeWe ist abgebrannt

Alltag in Bangkok

Die ausgebrannte Ruine des „CentralWorld“, des einst größten und üppigsten der vielen Kaufhäuser in Bangkok, klafft wie das zahnlose Maul eines verendeten Raubtiers mitten im Stadtbild von Bangkok. Das Bild ging inzwischen um die Welt, denn hier standen sich wochenlang Rothemden und Armee erst offenbar recht friedlich, dann zunehmend feindlich gegenüber, die schließlich die Verhandlungen über Neuwahlen und die Wiedereinführung von Demokratie in Thailand scheiterten und die Staatsorgane den Angriffsbefehl gaben.

Man kann nur ergriffen sein vom Anblick des ausgeglühten, von Rauchschwaden geschwärzten Baukörpers sein, den viele in Europa für das Fanal gehalten haben, das den Volksaufstand auslösen und die Strukturen in diesem als friedliebend geltenden Land krachend zum Einsturz bringen würde. Doch Bangkok ist erstaunlich ruhig in diesen Tagen. Und man muss nur wenige Meter weiter gehen zum Siam-Platz, um zu sehen, wie das Leben weitergeht.

Dort steht das „Siam Paragon“, die große Konkurrenz des CentralWorld-Kaufhauses. An diesem Sonntagmorgen läuft im Paragon der Laden auf Hochtouren. Vor allem junge Thais strömen in diesen vor Glas und Marmor strotzenden Tempel des Privatkonsums, decken sich in den oberen Etagen mit teurem Designerfummel ein, obwohl sie ein paar Meter weiter auf dem Chinesenmarkt die gleichen Sachen, gefälscht natürlich, zu einem Bruchteil des Preises kaufen könnten. Sie flanieren durch die breiten Korridore und über das sechs Stockwerke hohe Foyer, sitzen in den eleganten Restaurants im Erdgeschoß oder schieben hoch aufgetürmte Einkaufswagen mit den teuersten Lebensmitteln der Welt durch den „Food Court“, eine Feinkostabteilung, gegen die die Lebensmitteletage im KaDeWe in Berlin wie eine Tengelmann-Filiale aussieht.

Ich bin alt genug, um mich um die Stimmung zu erinnern, die bei uns zu den Zeiten der 68er Revolte herrschte, als die Polizei nur mit Wasserwerfern und nicht mit durchgeladenen Maschinenpistolen auf Demonstranten losgingen. Doch so bedrückt wie damals ist hier in Bangkok des Jahres 2010 niemand. Gut, die Rothemden sind zurück in ihre Dörfer, aber mein Taxifahrer hat sein Hemd nur in den Kofferraum gelegt, wie er mir erzählt. Man muss vorsichtig sein, mit wem man redet in Bangkok, denn Polizeispitzel lauern angeblich überall, und ein falsches Wort bringt selbst einen ausländischen Journalisten ins Gefängnis. Dass Menschen hier nachts verschwinden, darüber spricht mein Fahrer ganz offen: „Was meinen Sie, warum es die ganze Zeit hier die Ausgangssperre gab, zum Schluss nur noch von elf bis fünf. Weil nachts die Rothemden aus ihren Löchern kriechen und wieder etwas anzünden? Nein, weil man da die Leute besser verschwinden lassen kann.“

In Thailand wird die Demokratie von einer Obrigkeit mit Füssen getreten, die längst den Kontakt zum Volk verloren hat, die ohnehin nur durch fragwürdige Schiebereien und durch das Absetzen des gewählten Präsidenten an die Macht gekommen ist. Aber das sieht man den Gesichtern der jungen Leute nicht an, die an diesem Sonntagmorgen offenbar zum Marathon-Shoppen angetreten sind. Es kann dafür eigentlich nur zwei Erklärungen geben: Entweder ist Einkaufen eine Ersatzhandlung, die Stress abbaut und Wut unterdrückt, oder es ist ihnen tatsächlich ziemlich egal, was in diesem Land vorgeht – Hauptsache, das Räderwerk des Staates läuft irgendwie weiter und die Regale sind gefüllt. Das muss nicht unbedingt etwas mit Zynismus zu tun haben: Fast überall in Asien sind Regierungen an der Macht, deren gebaren nichts mit unserem westlichen Demokratieverständnis zu tun haben. Und immer wieder höre ich in Gesprächen mit Einheimischen, dass sie das auch gut finden. Ein „benelovent dictator“, ein gutmeinender Despot, sei allemal besser als das Chaos der Herrschaft des Mobs.

Und deshalb nehme ich Kun, mit dem ich mich in einer kleinen Garküche am „Democracy Monument“  im Stadtteil Khao San unterhalte, es auch ab, wenn er mir zwischen Reisnudeln und Garnelen sagt, die Rothemden seien gar keine Sozialrevolutionäre, sondern gedungene Helfershelfer des flüchtigen abgesetzten Präsidenten Taksin. Kun kommt aus Chang Bai, einer Provinzhauptstadt im Norden an der Grenze zu Birma, und er behauptet, mit eigenen Augen gesehen zu haben, wie die Schergen der Oppositionspartei den Bauern Geld angeboten haben, wenn sie in die Hauptstadt fahren und demonstrieren. Dass die Regierungspartei ihnen Geld geboten haben soll, wenn sie daheim bleiben, hat er nicht gesehen, aber gehört. Politik sei ein schmutziges Geschäft, sagt Kun, und taucht seine Essstäbchen ein, damit wolle er am liebsten gar nichts zu tun haben. Er will das Studium beenden und einen gutbezahlten Job in einer Unternehmensberatung bekommen. Dazu lernt er Englisch, verdient sich Geld durch Nachhilfeunterricht in Mandarin, das er fließend spricht, weil seine Mutter aus China kommt.

Abends auf dem Dach des State Tower, das früher für kurze Zeit mal das höchste Gebäude der Welt war, treffe ich mich mit zwei Deutschen, die in Bangkok leben. Der eine ist Anwalt, wohnt seit 15 Jahren hier mit seiner Frau, einer Thailänderin. Er will hier nicht mehr weg, hält die Lage für stabil. Der Barkeeper mixt uns Cocktails, der Wind weht die Servietten von der Theke. Unten geht das Leben ohne Unterbrechung weiter in der Millionenstadt mit ihren wuselnden Menschenmassen, ihren Märkten, die niemals schließen, dem unbeschreiblich bunten Treiben einer dynamischen Metropole, die ganz offen mit dem Westen um Wachstum und Wohlstand und damit auf Wirtschaftsmacht konkurriert, und zwar Tag und Nacht.

Nein, Bangkok werde ruhig bleiben, sagt der Anwalt. Die Thais finden immer einen Kompromiss, das liege in ihrem Wesen. Ohnehin werde in den deutschen Medien nur ein sehr verzerrtes Bild gemalt von den Verhältnissen im Land. Auf die simple Formell „Arm gegen Reich“ lasse sich die Situation ohnehin nicht reduzieren. In Thailand sei keiner wirklich arm, im Vergleich zu anderen Ländern klage man hier auf recht hohem Niveau. Die Vorstellung, die Landbevölkerung werde sich erheben und in die Stadt marschieren, um dort ein Blutbad anzurichten, hält er für absurd: „Das ist ungefähr so wahrscheinlich, wie dass sich bei uns 100.000 Harz IVler mit den Autonomen verbünden und nach Berlin marschieren, um mehr soziale Gerechtigkeit zu fordern.“.  Und für Unternehmen ändere sich sowieso kaum etwas: „Alle haben eine Interesse daran, dass die Wirtschaft weiterläuft.“

Vielleicht hat er sogar recht. Das Schlimmste für viele Thais, die gesehen habe, wäre wohl, wenn die Regale im Paragon nicht mehr nachgefüllt werden würden. Nicht auszudenken, was dann hier los wäre…

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