Wo klemmt es bei der Digialisierung, Herr Seutter?

„AI First heißt, KI zum Ausgangspunkt jeder Lösung zu machen“

Bild: Sebastian Seutter, Managing Partner DACH bei HTEC

Das Interview führte Tim Cole

Herr Seutter, woran liegt es, dass die Digitalisierung in Deutschland nur schleppend vorankommt?

Deutschland leidet unter strukturellen Digitalisierungsdefiziten, und das nicht nur bei der Infrastruktur. Bürokratische Hemmnisse bremsen viele Digitalprojekte aus und häufig fehlt den Unternehmen auch der Mut zur Disruption oder der unternehmerische Wille, Digitalisierung als Wachstumstreiber zu nutzen.

Wir reden seit mehr als 60 Jahren über Digitalisierung. Wo klemmt das Ganze?

Statt innovative Technologien, Produkte und Geschäftsmodelle zu entwickeln, konzentrieren sich die Veraantwortlichen auf Kostensenkungen und effizientere Prozesse. Ein Grund dafür ist meiner Erfahrung nach die fehlende Verankerung von Digitalisierung und KI im Top-Management – gerade bei Mittelständlern. Dadurch denken sie oft zu klein und ihre Projekte bleiben in der Pilotphase stecken.

Unternehmen nutzen KI nur zu 20 Prozent – ein Armutszeugnis! Liegt das an mangelndem Fachpersonal, mangelndem Willen oder woran denn sonst?

In der Tat fehlen den Unternehmen oft Daten- und KI-Experten, doch ihre KI-Projekte bleiben in vielen Fällen auch in der Experimentierphase stecken, weil es keine strategische Orchestrierung gibt. Dadurch verlaufen die Projekte isoliert, ohne tragfähiges Zielbild oder messbaren Business-Impact. Es ist jedoch unerlässlich, klare Ziele zu setzen und die verschiedenen Initiativen aufeinander abzustimmen. Ideal ist ein „AI First“-Ansatz, wie wir ihn bei HTEC verfolgen, um den KI-Einsatz unternehmensweit voranzutreiben und Piloten und PoCs erfolgreich in den Produktivbetrieb zu bringen. Ohne erfahrenen Partner schaffen viele Unternehmen diese Transformation aber nicht.

Die neue Bundesregierung verspricht in Sachen Digitalisierung durchzustarten. Glauben Sie, dass sie damit erfolgreich sein wird?

Die Schaffung eines Digitalministeriums ist sicher ein erfolgversprechender Ansatz, um Zuständigkeiten zusammenzuführen und Digitalisierungsinitiativen zu beschleunigen. Es ist ein guter erster Schritt, aber entscheidend wird sein, ob er auch die öffentliche Verwaltung, die Fördermittelvergabe und regulatorische KI-Hürden adressiert. Mit dem Sondervermögen sollte Geld für Investitionen vorhanden sein. Digitalisierung und KI könnten über die geplanten Investitionen in die Infrastruktur profitieren.

Gibt es noch Chefs, die sich ihre E-Mails von der Sekretärin ausdrucken und sich in der Postmappe vorlegen lassen, oder ist das ein Gerücht?

(lacht) Das sind sicher Einzelfälle. Wir sehen vielmehr Entscheider auf allen Ebenen, die sich aktiv die Frage stellen, wie sich ihr Arbeitsalltag digital und intelligent neu denken lässt.

Der Bereich der Embedded Systems wächst zwar, aber Unternehmen sehen immer noch Risiken, wie eine Bitkom-Studie ergab. Allen voran ist es der Kostendruck sowie die Abhängigkeit von Lieferanten. Was muss geschehen, um diese Bedenken aufzulösen?

Risiken wie Kostendruck und Lieferantenabhängigkeit sind im Embedded-Bereich real. Sie entstehen durch eine wachsende Systemkomplexität, straffe Entwicklungszeitfenster und die zunehmende Verzahnung mit Cloud- und KI-Komponenten. Hier etablieren sich dominante Plattformen, bei denen bewusste Einkaufsentscheidungen eine wichtige Rolle spielen. Unternehmen sollten sich daher bewusst plattformagnostisch aufstellen, also unabhängig von spezifischen Hardware- oder Toolchain-Vorgaben. Ist die Entscheidung für eine Plattform gefallen, kann man die Software agnostisch entwickeln, sodass sie plattformunabhängig ist. Zugleich ist es wichtig, auf Wartbarkeit, Portabilität und darauf zu warten, die Fähigkeit, Embedded-Systeme mit datengetriebenen Funktionen zu kombinieren. So vermeiden Unternehmen Lock-ins, erhalten technische Flexibilität und bringen Innovation schneller in den Betrieb. Dann begeben sie sich nicht in Abhängigkeiten von Anbietern und haben die Option, die Plattform zu wechseln. Das sollten Unternehmen aber nicht überstürzt tun – die ursprüngliche Entscheidung für eine Plattform wurde ja aus gutem Grund gefällt.

Reichen klassische Entwicklungsmodelle für heutige Produktzyklen noch aus?

Klassisch zu entwickeln, heißt oft: zu spät, zu teuer, zu weit weg vom Markt. Automotive Unternehmen in Deutschland sprechen heute oft vom „China Speed“. Das Ziel sind Entwickelungszeiten von der Idee bis zum Markteintritt eines Fahrzeugs von bis zu drei Jahren anstelle von historischen fünf bis sieben Jahren. Dafür reichen klassische Modelle in der Regel nicht nicht, weil neben den langen Entwicklungszeiten oft auch das Produkt schlicht am Markt und den Kunden vorbei entwickelt wird. Unternehmen benötigen deshalb die Flexibilität, die intelligente, moderne Entwicklungsmodelle bieten. Iterative Entwicklungsschritte und regelmäßige Abstimmungen mit allen Beteiligten sorgen dafür, dass Entwickler schnell und regelmäßig Feedback erhalten und sich Anpassungen und Verbesserungen zügig umsetzen lassen. Das verringert das Risiko von Fehlentwicklungen erheblich und verkürzt die Zeit bis zur Markteinführung. Schließlich sind Geschwindigkeit und Nutzerzentrierung heute die entscheidenden Faktoren für den Erfolg eines Produkts im Markt. Auch bei HTEC intern setzen wir daher konsequent auf agile Produktentwicklung und KI-gestütztes Prototyping, um Entwicklungszyklen zu verkürzen. Bei einem europäischen Telekommunikationsanbieter etwa konnten wir auf diese Weise einen KI-gesteuerten Service-Chat innerhalb von nur zwölf Wochen einführen.

Was bedeutet „AI First“ konkret – und wie funktioniert der Ansatz bei HTEC?

„AI First“ heißt für uns, dass wir KI nicht nachträglich auf bestehende Prozesse oder Produkte aufsetzen, sondern zum Ausgangspunkt jeder Lösung machen. So haben wir beispielsweise für ein Start-up, das kleine und mittelständische Händler mit schneller Logistik unterstützen wollte, eine Plattform entwickelt, die verschiedene Lieferdienste integriert, die Bewegungen der Fahrzeuge trackt und optimale Routen findet. Unser Ansatz basiert dabei auf drei Ebenen: Kompetenzen, Technologie und Business. Wir bieten Mitarbeitern individuelle Lernpfade, sodass sie KI verstehen und sinnvoll einsetzen können. Wir integrieren passgenaue Tools in ihren Arbeitsalltag. Und wir entwickeln datengetrieben Services, intelligente Produkte und neue Geschäftsmodelle. Unser interdisziplinäres Team vereint Data Scientists, AI Engineers, Produktdesigner und Strategieberater – diese Bandbreite an Spezialisten ist selten im Markt und hilft Unternehmen, ebenfalls „AI First“ zu werden.

 

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