Was ist ein Blog überhaupt? Und wenn schon

E. B. White quote: The essayist is a self-liberated man, sustained by the childish...

 

Klar weiß ich, was ein Blog ist. Es gibt ja genügend davon. Schließlich hat heutzutage fast jeder einen, wenn er etwas auf sich hält. Und dass sich der Begriff aus der Verkürzung von „Web Log“ ableitet, kann ich jederzeit bei Wikipedia nachschlagen.

Aber was ist ein Blog denn wirklich? Ein Logbuch? Das hat was Nautisches, aber auch etwas Kaltes, Technokratisches. In einem Logbuch trage ich Dinge ein, die geschehen sind, und zwar in der Reihenfolge, in der sie geschehen sind, damit ich hinterher nachschlagen kann oder mich im Fall, dass ich mit meinem Schiff versehentlich gegen ein Riff fahre, rechtfertigen kann. „Hohes Seegericht, ich habe alles getan, was ein Seemann tun kann. Schauen Sie nur in mein Loggbuch!“.

Eine Zeitlang habe ich in meinen Vorträgen den Begriff des „Online-Tagebuchs“ verwendet, um meinen Zuhörern zu beschreiben, was ein Blog ist. Aber das hat wiederum etwas Jungmädchenhaftes, so wie ein Posesiealbum. Echte Kerle essen kein Quiche. Sie haben auch keinen Blog!

Neulich sprach ich mit einem Kollegen der erzählte, dass er schon vor Jahren einen Blog gehabt habe, und zwar lange, bevores das Wort überhaupt gab. Er war bei einem Verlag in Augsburg beschäftigt, die hatten eine Website, und da hat er einmal pro Woche einen Text über irgendein aktuelles Thema verfasst, dass er seine „Online-Kolumne“ nannte.

Das hat für den Journalisten etwas Altvertrautes, damit kennen wir uns aus. Die vielleicht schönste Kolumne der Welt ist ja das „Streiflicht“ in der Süddeutschen Zeitung, deren herausragende Bedeutung schon daran abzulesen ist, dass sie auf der Seite ein links oben steht. So, wie wir Westler lesen, nämlich von links nach rechts und von oben nach unten, bedeutet das sozusagen Pole Position. Und deshalb lesen Menschen wie ich ja auch das Steiflicht morgens zu allererst.

Nun schreibe ich ja nicht nur diesen etwas unregelmäßigen Blog, sondern auch Kolumnen in Zeitschriften. Die älteste erschien in „Profits“, das Unternehmer-Magazin der Sparkassen, und hieß früher „Mein Alltag im Internet“ und wurde irgendwann, als dann jeder täglich ins Internet ging, in „eScout“ umgetauft. Profits hat schon manche Konzeptänderung (neudeutsch: „relaunch“) erlebt und selbst sogar schon den Titel gewechselt (sie hieß früher „Geschäftswelt“). Das einzige, was immer überlebt hat, war meine Kolumne, und das fast 15 Jahren lang, also auch lange, bevor es den Begriff „Blog“ gab.

Eine andere Kolumne von mir erschien immerhin fast fünf Jahre land in dem von mir sehr geschätzten Wirtschaftsmagazin „ProFirma“, das in Freiburg im Hauffe-Verlag erschient und dessen Chefredakteur Jürgen Römer sich den Luxus erlaubte, eine ganze Seite für eine nachdenkliche und hintersinnige Betrachtung der meist schwierigen und oft schreiend komischen Beziehung des Menschen mit seiner Technik zu tun hat.

Solche Biotope des Geistes sind rar geworden im deutschen Journalismus, wo vor allem Wirtschafts- und Fachmagazine krampfhaft bemüht sind, so viel „Nutzwert“ wie möglich in ihre Seiten zu pressen, bis sie sich wie Gebrauchsanleitungen lesen und so viel intellektuellen Kitzel bieten wie ein Vortrag über Kautschukproduktion.

Mein „Cole Blog“ (www.cole.de) mag nicht das „Streiflicht“ sein, aber irgendwie verwandt sind sie doch, weil eine Redaktionsleitung damit den Mut und, wie ich finde, auch das Einfühlungsvermögen beweist, den Leser nicht nur über das Stammhirn anzusprechen, sondern auch über das eher Irrationale, das nun mal auch in jedem Menschen wohnt.

Jürgen Steinmueller, der jahrelang meine Kolumnen in ProFirma mit großem Feingefühl und Witz bearbeitet und verfeinert hat, wie es seine Art ist einen Themenvorschlag für eine der nächsten Ausgaben geschickt, und ich fand seine damalige Wortwahl bemerkenswert.

Er schrieb: „Ihre Thesen zum Techno-Beduinen haben mich auf die Idee gebracht, ob Sie daraus nicht für Ihre Kolumne ein Essay formen könnten? „Die Zukunft des Selbstständigen als Techno-Beduine.“

Seiner Mail entnahm ich, dass meine Kolumne, zumindest redaktionsintern, offenbar den Status des „Essays“ erlangt hatte, was eine echte Beförderung arstellte! Als Kunstform ist das Essay schließlich so etwas wie der Olymp! Da wohnen die Unsterblichen der Schreiberzunft, die Voltaires, die Montaignes, die Macauleys, Orwells, Manns, Shaws, Shelleys und natürlich auch Virginia Woolf.

Ich überlege schon, ob ich mir nicht neue Visitenkarten drucken lasse. „Tim Cole, Internet-Essayist“ stünde dann drauf. Das klingt jedenfalls ganz anders als „Blogger“.

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