Darwins Daumen

Mit welchem Finger drücken Sie die Haustürklingel? Mit dem Zeigefinger? Dann sind Sie über 30.

Junge Menschen benützen den Daumen, weil sie mit Handy und Smartphone aufgewachsen sind. Ältere Menschen benutzen den Zeigefinger. Das behauptet jedenfalls Alice Raws­thorn in einem Beitrag für die New York Times.

Dank der ständigen Verwendung bei der Texteingabe sei der Daumen junger Menschen heute stärker, beweglicher und ausdauernder als früher, was sie als Beweis für die These zitiert, dass sich der Mensch unter dem Einfluss von Technologie evolutionsmäßig weiterentwickelt.

Das gelte nicht nur für die physikalischen, sondern auch für die mentalen Eigen­schaften junger Menschen, die angeblich inzwischen die Fähigkeit des Multitaskings erlernt haben: Sie können gleichzeitig ein Gespräch führen und eine Textnachricht tippen, während sie sich gleichzeitig aus den Ohrknöpfen ihrer iPods die neuesten Musikstück ins Hirn pusten.

Ähnlich argumentierte schon vor Jahren die Soziologin Linda Stone, damals Chefin der Social Computing Group von Micro­soft, die dafür den Begriff „Continuous Partial Attention Syndrom“, kurz CPA, erfand. Ihrer Meinung nach verwandeln sich Menschen, die große Teile ihres Lebens in vernetzten Welten zubringen, selbst in Netzwerkknoten. „Anders ausgedrückt: Wie wollen uns verbinden und verbunden sein. Wir wollen ständig Ausschau halten nach guten Gelegenheiten, uns selbst optimieren für die besten Chancen, Aktivitäten und Kontakte. Beschäftigt sein. Verbunden sein heißt leben, anerkannt werden, wichtig zu sein.“

Für viele ist die Vorstellung, der Mensch passe sich der Technik an, ein Albtraum. Andere wie Stone sehen darin zunächst einmal etwas Wertfreies, ja geradezu Unausweichliches, sozusagen ein Teil des darwinistischen Imperativs.

Vielleicht ist es aber auch alles nur Bullshit. Jedenfalls die Sache mit dem Handy-Daumen, denn beim Recherchieren zu dieser Post bin ich auf einen hochinteressanten Wikipedia-Beitrag gestoßen, dem zufolge der Daumen schon immer eine Sonder­rolle gespielt hat. Sogar die Bezeichnung „Daumen“ ist dafür ein Beweis, denn er leitet sich angeblich aus dem westgermanischen Wort „thuman“, wörtlich „besonders stark(er) oder kräftig(er) (Finger)“ ab. Auch seien die für die Bewegung und Empfindlichkeit des Daumens verantwortlichen Hirnareale deutlich größer als die der anderen Finger.

Wir kommen also zu einem ganz anderen Schluss als Frau Rawsthorn: Die Handy-Kids von heute folgen nur ihrem uralten Daumentrieb…

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