CeBIT der Avatare

Wo sind die Zeiten dahin, als wir uns noch unter mehr als 800.000 Besuchern versuchen mussten, einen Weg durch die CeBIT zu bahnen? Als ich am ersten Messetag wie seit 25 Jahren gegen 19 Uhr das Gelände verließ, standen da 20 Wagen am Taxistand. Ich kann mich noch an Jahre erinnern, da standen um diese Zeit 200 frierende Menschen in der Schlange und warteten.

Keine Frage, die weltgrößte Computermesse hat ihre besten Zeiten hinter sich. Gestritten wurde in Hannover eigentlich nur noch darum, ob sie sich gesund geschrumpft hat, oder ob sie langsam vor sich hinstirbt.

Die Frage muss deshalb erlaubt sein: Wie relevant ist eine solche Jahreshauptversammlung der ITK-Branche noch im Zeitalter des Internet? Vielleicht sollten wir sie nächstes Jahr nach „Second Life“ verlegen, wie Herbert Kircher, Chef der IBM Entwicklungsgesellschaft, nur halb scherzhaft meinte, als wir uns über digitale Identitäten und Web 2.0 unterhielten.

Bislang konnten die Messeveranstalter wenigsten sagen, auf einer virtuelle Expo gibt es keinen Kaffee und keine Gespräche im Gang. Nur der Information halber, das ist auch ihnen schon lange klar, muss heute keiner mehr den alljährlichen Cannossagang nach nach Hannover antreten.

Also ab in die Avatare! Oder vielleicht doch lieber die Flucht in die Intimität? Jedenfalls fällt auf, dass Messemacher und Eventveranstalter in letzter Zeit wieder etwas kleinere Brötchen backen. „Lieber kleiner, aber gezielter“, sagte mir ein Marketingchef. Ob er nächstes Jahr einen Stand in Hannover buchen soll oder lieber mehrere kleinere Regionalmessen und Spezialevents belegen wußte er noch nicht. Wir Amerikaner würden sagen (beziehungsweise fragen):“Where do I get more bang for my bucks?“

Auf einer großen Messe gehen viele kleine, aber wichtige Themen naturgemäß unter. Henning Kagemann von SAP strapazierte in seiner Pressekonferenzrede so ziemlich jedes gängige Buzzword der Branche, aber von digitaler Identität sprach er kein Wort. Und im allgemeinen Trubel ging zum Beispiel eine Ankündigung von EU-Kommissarin Viviane Redding beinahe unter, keine neue Gesetzesinitiative in Sachen RFID starten zu wollen. Vor einem Jahr hatte sie derartige Befürchtungen geweckt, als sie eine einjährige „Anhörungsphase“ ankündigte, in der nicht nur die Industrie, sondern auch Datenschützer und Normalbürger zu Wort kommen sollten. Ein Jahr später sieht sie keine Notwendigkeit, in den Markt einzugreifen – im Gegenteil. Die Rolle der EU soll sich darin erschöpfen, international für Standards und Interoperabilität zu werben und daheim der Industrie erst mal den Rücken freizuhalten.

Außer ein paar Zeilen in der „Süddeutschen“ habe ich nichts über diese wirklich bemerkenswerte Einsicht einer Vollblut-Politikerin gelesen, für die normalerweise ein solches Thema ein gefundenes Fressen für dioe Selbstdarstellung sein müsste. Aber sie ging unter zwischen Banalität, Senesationshascherei, Selbstbeweihräucherung und „old news“. In der Pressekonferenz eines großen Hosting-Providers erwischte ich mich selbst dabei, wie ich die gleiche Frage stellte wie im Vorjahr. Wer kann im Wald der geballten Marketingmaschinerie noch die Bäume erkennen?

Ob ich selbst nächstes Jahr wieder nach Hannover fahre? Ich weiß es noch nicht, ganz ehrlich.

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