Demokratischer Fachismus

Als in Deutschland lebender Amerikaner gerate ich häufig in Erklärungsnotstand. Ich halte Amerika nämlich nach wie vor für das demokratischste Land der Erde. Und ich halte George W. Bush für einen Faschisten.

Also was nun, fragen mich meine Freunde bei solchen Gelegenheiten. Wenn das demokratisch gewählte Staatsoberhaupt des Landes ein Faschist ist, dann sind doch mindestens die Hälfte der Wähler auch Faschisten, oder?

Nun, das mit der Demokratie ist eine verzwickte Sache. Und mit Vernunft hat sie nicht immer etwas zu tun. Oder glaubt denn wirklich jemand, dass die Mehrheit der Palästinenser wirklich Hamas-Anhänger sind? Trotzdem sind die Terroristen dort demokratisch legitimiert.

Ich hasse das, was Bush und seine Kumpanen im Namen Amerikas machen. Sie haben das eigene Volk belogen, einen ungerechten Krieg vom Zaun gebrochen, unschuldige Menschen ohne Anklage und Möglichkeit zur Verteidigung über Jahre hinweg gefangengehalten und der Weltmeinung dabei die Nase gezeigt. Sie haben die Steuern für die Reichen gesenkt und geholfen, die Armen ärmer zu machen. Sie haben innerhalb von wenigen Jahren einen Haushaltsüberschuß in einen Schuldenberg verwandelt, an dem ihre eigenen Urenkel noch werden abzahlen müssen, und sie zerstören aus Raffgier den Planeten. Schlimmer geht es doch gar nicht, oder? Und der Cole verteidigt ein solches System auch noch?

Ich gebe zu, dass mich das selbst verwirrt – und trotzdem bekomme ich eine Gänsehaut wenn ich lese: „Wir halten diese Wahrheit für offensichtlich, dass nämlich alle Menschen gleich geschaffen sind, und dass sie von ihrem Erschaffer mit bestimmten unveräußerlichen rechten ausgestattet sind, darunter Leben, Freitheit und die Jagd nach dem Glück.“

Wie kann man ein Land nicht lieben, in dem das Recht auf freie Meinungsäußerung als höchstes Gut gilt, in dem jeder – ob Nazi, Fundamentalist oder Spinner – wirklich sagen darf, was er denkt? Wie wollen Deutsche oder Österreicher den Amerikanern Demokratieunterricht geben, wenn bei ihnen Holocaustleugner vor Gericht gestellt werden? Ich hasse David Irvings Ansichten, aber ich verteidige mit ganzem Herzen sein Recht, sie zu äußern.

Manchmal glaube ich selber, schizophren zu sein. Aber dann kommt gerade noch rechtzeitig die „Economist“ daher und bringt das auf den Punkt, was ich schon immer instinktiv gefühlt habe. In einer Besprechung des Buchs „Politics Lost: How American Democracy Was Trvialised by People Who Think You’re Stupid“ schreibt der Rezensent folgenden gedankenschweren Satz, der genau das ausdrückt, was ich meine: „Dieses Buch ist durchdrungen von einer mächtigen Zuneigung für das Versprechen amerikanischer Politik und Verzweiflung über ihre Realität.“

Ja, das ist es. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Ideale, auf denen das amerikanische politische System gründen, zum Edelsten und Wirkungsvollsten zählen, was Menschen erdacht haben. Aber da es Menschen sind, die diese Ideale in die tägliche Politik umsetzen, ist das Ergebnis oft schrecklich.

Die Kraft dieser Ideale hat zweieinhalb Jahrhunderte überdauert und haben Amerika die längste demokratische Tradition der Welt beschert. Das muss uns erst mal einer nachmachen.

Ich hoffe, dass diese Tradition stark genug sein wird, selbst einen George W. Bush zu überstehen.

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