Die digitale Stradivari

Wir arbeiten noch dran

Julia Fischer war ein begnadetes Kind und ist heute eine begnadete junge Geigerin. Ich kannte ihren Vater ganz gut und habe ihre Karriere deshalb sozusagen von Kindesbeinen an verfolgt, und neulich hörte ich sie wieder mit einer wunderbaren Interpretation des Violinkonzerts aller Violinkonzerte, Tschaikovsky in D-Dur, wo ihre Geige unvergleichlich süßen Schmelz erzeugte als sei es ein Instrument aus einer anderen Welt.

Tatsächlich spielt Julia eine Stradivari, die sogar einen Namen hat, wie die meisten erhalten gebliebenen Instrumente aus der Werkstatt des guten alten Antonio Giacomo(1648-1737) in Cremona. Ihrer heißt „Booth“, weil es 1855 von einer spleenigen Engländerin namens Madame Wilhelm von Booth für ihren Sohn Otto gekauft wurde. Inzwischen ist es im Besitz der Nippon Music Foundation, die es ihr als Dauerleihgabe anvertraut hat.

Was ranken sich nicht für Geschichten um die legendären „Strads“, um die Guarneris, Amatis, Magginis und da Salos. 1908 wurde dem belgischen Virtuoso Eugene Ysaye bei einem Gastspiel in St. Petersburg eine seiner vier (!) Stradivarii gestohlen; sie ist bis heute nicht mehr aufgetaucht. 1951 fand ein amerikanischer Soldat während des Koreakriegs in einem zerbombten Bauerhof eine Geige, die er als Andenken mit nach Hause nahm. Sie wurde später als eine echte Stradivari identifiziert und machte einen reichen Mann aus ihm. Ende 2011 bezahlte ein Russe 18 Millionen Dollar für eine Guaneri-Geige und glaubte dabei noch ein Schnäppchen zu machen.

Dabei weiß eigentlich niemand, was das Geheimnis der Streichinstrumente aus dem Barock ausmacht. Viele Generationen von Geigenbauern haben versucht, deren Geheimnis zu lüften. Ist es die Lackrezeptur, das alte Holz, das sagenhafte Können der alten Meister?

Vielleicht ist das Geheimnis aber auch ganz einfach: Es gibt gar kein Geheimnis. Tatsächlich klingt eine Stradivari auch nicht anders als eine moderne Geige, allenfalls sogar schlechter! Das behauptet jedenfalls eine Französin. Claudia Fritz und ihre Mitarbeiter von der Universität Paris ließen gerade 21 erfahrene Geiger auf insgesamt sechs Geigen spielen – in einem abgedunkelten Hotelzimmer und mit Schweißerbrillen vor den Augen. Drei der Geigen waren nur wenige Tage bis Jahre alt, drei waren alte Meister-Geigen: zwei Stradivari- und eine Guarneri-Geige.

Bei ihren Klangversuchen wurde Frau Fritz von Joseph Curtin unterstützt. Curtin lebt in Ann Arbor im US-Bundesstaat Michigan und ist selber Geigenbauer und hält im Moment den Preisrekord für eine zeitgenössische Geige: 1993 ging eines seiner Instrumente bei Sotheby’s für 22.000 Pfund unter den Hammer. Curtin gilt vor allem als der Techie unter den Geigenmachern: Er arbeitet mit Magnetresonanztomographie (MRI) und Laser-Scanner. Er hat einen so genannten „Impact Hammer“ erfunden, was so viel heißt, dass er mit dem Hämmerchen die Geige zwar nicht kapuut haut, sondern nur vorsichtig antippt, um die so erzeugten Schwingungen durch einen Analog/Digital-Wandler zu schicken und anschließend mit einer ausgefeilten Software zu analysieren.

Curtins Traum ist es, eine „digitale Violine“ zu bauen, die von den Klangeigenschaften her jeden Strad, aber auch seine eigenen Instrumente aus Holz und Leim in den Schatten stellen soll. Gemeinsam mit Designer Alex Sobolev tüftelt Curtin seit Jahren an der Idee. Sobolev meinte neulich, „there are things to work on“, was wohl heißt, dass es noch eine Weile dauern wird, bis Julia Fischer ihren Booth einpacken und nach Japan zurückschicken wird. Aber überzeugen Sie sich doch selbst: Auf YouTube gibt es einen kleinen Demo-Film, auf dem der Geiger Aaron Boyd eine Kostprobe seines Könnens auf dem Prototypen der E-Geige gibt. Und wenn es auch nicht so klingt wie eine Strad (ich fühlte mich ein bisschen an das große Katzenmassaker von Paris erinnert), so darf man nicht vergessen: Auch Antonio Giacomo fing einmal ganz klein an.

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