Die Retoure als Chance

Retouren

In loser Folge wiederhole ich hier einige der beliebtesten Posts seit Beginn des Cole-Blog im Januar 1995. Dieser Beitrag erschien erstmals am 22. Juni 2015.

Kunden wollen heute Produkte nicht nur kaufen, wann und wo sie wollen, sie wollen sie auch zurückgeben können, wann und wo sie wollen. Die Logistik muss damit klarkommen können, dass ein Kunde die Waren per Paketpost oder im Laden zurückgeben oder notfalls bei sich daheim abholen lassen kann, wenn es für ihn praktisch und bequem ist. Die Herausforderungen an die Sendungsverfolgung, an die betroffenen Mitarbeiter und an das Rechnungswesen sind enorm, müssen aber gemeistert werden, wenn der Kunde bei (Kauf-)Laune gehalten werden soll.

Das alles sind direkte Folgen der neuen Macht des Kunden im Internet-Zeitalter und der einsetzenden Digitalen Transformation. Und auch wenn es dem Anbieter nicht passt: Er hat keine Alternative, als diesen Veränderungsprozess mitzugehen. Schließlich gilt auch hier: Nur wer mitmacht kann gewinnen!

Gerade am Thema Retouren zeigt es sich, wie schnell sich das Kundenverhalten ändern kann, aber auch wie wichtig es ist, seine Kunden zu kennen, sie zu verstehen und sie vor allem stets zufrieden zu stellen.

Elektronik und Mode sind heute die beiden absoluten Renner im Onlinehandel. Laut Statista machen sie jeweils fast 20 Prozent vom E-Commerce-Umsatz in Deutschland aus. Beide bedeuten für den Händler einen erheblichen logistischen Aufwand, denn Retouren müssen, bevor sie als Neuware ein zweites Mal verkauft werden können, erst eine aufwändige Qualitätskontrolle durchlaufen.

Eine Retourenquote jenseits der 40 Prozent ist zum Beispiel in der Fashion-Branche keine Seltenheit. Zalando, der Marktführer im deutschen Online-Textilhandel, berichtet sogar von mehr als 50 Prozent Rücksendungen. Daran ist das Berliner Unternehmen aber mehr oder weniger selber schuld, denn es wirbt schließlich mit dem Slogan: „Schrei vor Glück oder schick’s zurück“.

Das nehmen die Kunden offenbar wörtlich, bietet ihnen Zalando doch an, anders als der Wettbewerb, gekaufte Waren nicht nur innerhalb von 14 Tagen zu widerrufen, wie es im § 355 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) festgelegt ist, sondern sogar bis zu 100 Tage nach dem Kauf. Und zwar ohne Angabe von Gründen. Das ist für viele Kunden ein wichtiges Kaufargument.

Forscher am Institut ibi research der Universität Regensburg haben versucht herauszufinden, warum die meisten Waren zurückgesandt werden. Und sie sagen auch, was man dagegen tun kann. So sind fehlende oder mangelhafte Produktbeschreibungen oder schlechte Fotos der Ware im Web mit Abstand der Hauptgrund dafür, dass Kunden vom Kauf zurücktreten (81 Prozent). Schon eine optimierte Artikelbeschreibung im Shop, die dem Kunden mit Bildern und Text im Detail aufzeigt, was ihn erwartet, wenn er es bestellt, ist ein guter Weg, um die Zahl der Retouren einzudämmen.

Erst mit weitem Abstand folgen mangelnde Qualitätssicherung vor dem Versand (33 Prozent), schlechte Verpackung (30 Prozent) oder fehlende Hilfestellung, zum Beispiel Telefon-Hotlines oder Chatmöglichkeiten (28 Prozent). Auffällig ist auch, dass sich viele Kunden erst nach der Bestellung im Social Web umschauen und dort häufig auf negative Beurteilungen stoßen, aufgrund derer sie die Waren gleich wieder zurückschicken, oft ungeöffnet. Fast ein Drittel (32 Prozent) lässt sich auf diese Weise durch kritische Kundenrezensionen beeinflussen.

Viele Retouren könnten schon im Vorfeld vermeiden werden, schreiben die Regensburger Forscher. Dazu wäre es nötig, beim Online-Angebot genauere Angaben über das Produkt zu machen. Beim Schuhkauf sinkt zum Beispiel die Retourenquote drastisch, wenn der Kunde eine Schablone ausdrucken kann, um die richtige Größe zu bestimmen.

Retouren sind der Fluch des Online-Handels, weil sie einen immensen Kostenapparat mit sich bringen. Wobei fast 40 Prozent der Online-Händler laut ibi-Studie überhaupt nicht wissen, wie teuer sie eine Retoure kommt. Auch über die Gründe für Retouren machen sich viele Händler kaum Gedanken. So planen laut ibi-Studie offenbar bis zu 40 Prozent aller Online-Käufer von vorneherein, die Waren wieder zurück zu schicken. Bei Textilien ist das besonders ausgeprägt: 38 Prozent der Befragten gaben zu, meistens mehrere Varianten eines Kleidungsstücks zur Auswahl zu bestellen. In der Elektronikbranche ist das Phänomen dagegen weniger ausgeprägt. Wer bestellt schon gleiche mehrere Fernsehapparate, nur um daheim damit einen Praxistest zu machen?

Auf Platz zwei der Retourengründe kommt die Aussage: „Der Artikel gefällt nicht“ (59 Prozent), gefolgt von „Der Artikel passt nicht“ (52 Prozent). Defekte Geräte (27 Prozent) und „Falschbestellung“ (26 Prozent) sind ebenfalls häufige Ursachen für Retouren.

Wenn man bedenkt, wie häufig das Problem auftritt und welche immensen Kosten für damit verbunden sind, überrascht es schon, wie wenig sich der Handel um die Frage kümmert. Dabei gibt es inzwischen viele Möglichkeiten, die Häufigkeit zu ermitteln, mit der Kunden das Gekaufte zurücksenden – und etwas dagegen zu tun!

Die Retourenwahrscheinlichkeit ist zum Beispiel deutlich vom gewählten Zahlungsverfahren abhängig. Das ibi-Institut hat dafür einen Indikator errechnet, den sie „RAWI“ nennen, und der sich aus zwei Faktoren zusammensetzt: Der erste ist der von den Unternehmen selbst geschätzte interne Arbeitsaufwand im Retourenfall in Abhängigkeit vom gewählten Zahlungsverfahren. Der zweite Faktor ist das von den Befragungsteilnehmern geschätzte Retourenaufkommen, ebenfalls in Abhängigkeit vom Zahlungsverfahren (siehe Abbildung 3). Heraus kommt eine Skala von 1 (= sehr geringer Aufwand) bis 36 (= sehr hoher Aufwand). Je geringer der Wert, desto geringer ist der Aufwand im Retourenfall.

Am höchsten ist die RAWI beim Kauf per Rechnung, gefolgt von Paypal und giropay. Demgegenüber returnieren Kunden, die per Vorkasse, Sofortüberweisung und Nachnahme zahlen, vergleichsweise selten. Es besteht also ein definitiver Zusammenhang zwischen der Retourenquote und der Zahlungsart. Trotzdem gaben in der Studie nur acht Prozent der Händler an, die angebotenen Zahlungsverfahren anpassen zu wollen, um die Retourenquote zu senken. Das ist insofern nicht erstaunlich, weil 80 Prozent der Webseller die  Retouren je Zahlungsverfahren gar nicht erst erfasst.

Retourenaufwand je Zahlungsverfahren

Retourenaufwand je Zahlungsverfahren (Quelle: ibi Research)

Große Onlineanbieter setzen schon während des Kaufvorgangs auf eine automatisierte Prüfung der Retourenwahrscheinlichkeit. Dazu wird beispielsweise die Bestellhistorie des Kunden überprüft und die Zusammensetzung des Warenkorbs analysiert. So genannte „komplexe Warenkörbe“ gelten als besonders retourenanfällig.

Leider verzichten 55 Prozent aller deutschen Online-Händler darauf, solche Wahrscheinlichkeitsprüfungen vorzunehmen – und verschenken jeden Tag damit bares Geld! Die Hälfte von ihnen gibt an, der Aufwand sei ihnen zu hoch. Andere klagen über fehlendes Personal oder mangelnde eigene Kompetenz auf diesem Gebiet. Eine typische Antwort lautet: „Wir haben viele Erstbestellungen, bei denen uns keine Daten zum Kunden und seinem Retourenverhalten vorliegen.“ Dabei sind das Auswerten von Dingen wie Bonitätsprüfung, Bestellhistorie oder Warenkorbanalyse relativ einfach zu automatisieren. Außerdem gibt es Faustregeln wie beispielsweise die, dass die Retourenhäufigkeit bei größeren Bestellungen (über 100 Euro Bestellwert) deutlich sinkt.

Manche Händler versuchen, das Rücksenderisiko einzugrenzen, indem sie ihren Kunden nur bestimmte, für sie günstige Bezahlformen anzubieten. Da bekannt ist, dass bei Vorkasse oder Nachnahme am wenigsten retourniert wird, ist die Versuchung groß, nur diese Möglichkeit zu offerieren. Aber Achtung: Der Kunde erwartet heute, dass er selbst die Zahlungsart wählen kann, und dass sein Anbieter ihm sämtliche Möglichkeiten freihält.

Zalando hat es damit versucht, ihren Kunden nur eine begrenzte Auswahl an Zahlungsmöglichkeiten anzubieten, vorzugsweise Vorkasse oder Rechnung – und ist damit auf die Nase gefallen. Im Jahr 2012 stellten erstaunte Kunden des Versenders auf einmal fest, dass ihnen beim Bestellen nur noch Vorkasse als Alternative angeboten wurde. Es gab einen Aufschrei der Entrüstung im Social Web, Hier ein typischer Kundendialog auf einem Diskussionsforum der Frauenzeitschrift Brigitte unter dem Titel „AW: Bei Zalando nicht mehr auf Rechnung bestellen können“:

leilalie: ich habe weder eine rechnung noch eine retoure offen und kann trotzdem nicht mehr auf rechnung bestellen. kundenservice geht niemand ran…weiß von euch jemand woran das liegen könnte?

Smio: Wenn du viel dort bestellt und retourniert hast, liegt es vermutlich an der hohen Retourenquote. So ist es bei mir gewesen. Ich hab‘ öfter mal was auf Rechnung bestellt und seit ein paar Wochen kann ich nur noch per Vorkasse zahlen. Habe dort angerufen, mir wurde gesagt, ich hätte zu häufig Sachen retourniert. Kann ich zwar einerseits verstehen, andererseits ist Zalando nun mal ’n Onlineshop, der mit Retouren rechnen muss. Ich hab nun auch nicht 80 Mal im Monat für 1000 Euro bestellt oder so…

Kiya: Aber bei Rechnung muss man doch auch erstmal alles bezahlen. Seh ich jetzt keinen großen Unterschied zur Vorkasse. Ich bestell deswegen dort nicht mehr.

Aber was soll ein Onlineshop tun, wenn die Rücksendungen die Marge auffressen und dadurch die Rentabilität gefährdet wird? Wer das so sieht, hat im Online-Handel vermutlich nichts zu suchen, denn seine Weltsicht ist zu eng. Richtig verstanden, sind Retouren sogar eine Chance, seinen Kunden besser kennen zu lernen und enger an ihn heran zu kommen.

Zunächst einmal gilt: Es ist viel schwieriger, einen einmal verlorenen Kunden wieder zu gewinnen als einen unzufriedenen Kunden zu halten. So gesehen ist der Aufwand für Retouren sehr schnell wieder hereingeholt, wenn man die Kosten in Relation setzt. Der Online-Händler muss ein gesteigertes Interesse daran haben, dafür zu sorgen, dass der Kunde sozusagen „bei der Stange“ bleibt und nicht zur Konkurrenz hinübersurft.

Kundenbindung ist im Zeitalter totaler Preistransparenz – dank Google oder Preisvergleichsportale wie idealo.de oder geizkragen.de – schwieriger denn je. Jedermann kann in Sekunden feststellen, was andere für ein vergleichbares Produkt verlangen. Loyalität lässt sich nicht mehr über die Preisgestaltung erreichen, sondern nur über Kundenzufriedenheit. Es lohnt sich also, die Gründe für eine Rücksendung genau anzuschauen.

Mit diesem Wissen ausgestattet kann der Händler daran gehen, sein Angebot so zu optimieren. Neben der Senkung der Retourenquote lassen sich so wichtige Erkenntnisse generieren, auf deren Grundlage er die sein Onlineangebot (zum Beispiel Texte, Bilder oder Benutzerführung) sowie das Produkt selbst verbessern kann. Das ist sozusagen Marktforschung zum Nulltarif – und kein Unternehmen sollte sich eine solche Chance entgehen lassen!

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