Glücksspiel mit der Privatsphäre

Wer schützt uns vor unseren Beschützern? Der Europa-Abgeordnete Marco Cappato hat Stoff zum Nachdenken geliefert. Er warnt vor dem Entstehen von „E-Diktaturen“ – und zwar auch bei uns.

In Griechenland machen Polizisten neuerdings Jagd auf Internet-Cafés, weil die Besucher ja zumindest theoretisch in der Lage wären, ein Online-Spielkasino anzuklicken und dort zu zocken. Das verstößt aber gegen ein neues Gesetz, das jede Form von maschinellem Glückspiel in Hellas verbietet.

Ein Treppenwitz zwar, aber einer mit bedrohlichem Potenzial, sagt Marco Cappato, parteiloser Abgeordneter im Europarlament. Und er hat leider recht: Rund um den Globus nutzen immer mehr Regierungen die (verständliche) Angst ihrer Bevölkerungen dazu, um den Gebrauch von Informationstechnik unter Bewachung zu stellen. Diese Cyber-Kontrollen, meist als Ausnahmegesetze durch die Volksvertretungen gepeitscht oder gleich als Notverordnungen erlassen, bilden die vielleicht größte Bedrohung der Menschenrechte, insbesondere des Rechts auf Privatsphäre, die unsere modere Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten erlebt hat.

Die undemokratischen Regierungen in China, Iran, Vietnam und Tunesien bemühen solche Gesetze, um die Proteste ihrer Dissidenten gegen Behördenwillkür und Staatsterror zu unterdrücken. Cappato bezeichnet solche Regimes mit einigem Recht als „E-Diktaturen“, ihre Arbeitsmethoden als „E-Zensur“ und „E-Repression“.

Die USA haben mit dem so genannten „Patriot Act“ sozusagen das Ende des Privaten in der elektronischen Kommunikation eingeläutet. Menschenrechtler und Liberale wie der Romanschriftsteller Norman Mailer vor dem Entstehen faschistischer Strukturen und ein Absinken in den Überwachungsstaat.

In Europa und insbesondere in Deutschland findet eine breite politische Diskussion zu diesen Themen nicht statt. Dabei ist klar zu sehen, dass fast alle westlichen Regierungen nach dem gleichen Strickmuster auf die Ereignisse des 11. September 2001 reagiern: mehr Überwachung nach innen und Abschottung nach außen. Und das heißt vor allem: immer mehr Daten sammeln, Daten abgleichen, den Bürger immer besser informatorisch in den Griff bekommen, ohne dass dieser etwas davon bemerkt.

?Quis custodiet ipsos custodies?“, sagten die alten Römer ? wer beschützt uns vor unseren Beschützern?“
Der gläserne Bürger, nicht der gläserne Verbraucher, ist das wahre Schreckgespenst des 21sten Jahrhunderts: Wenn nämlich die Staatsorgane ohne ausreichende Kontrolle das Recht des freien Bürgers auf informationelle Selbstbestimmung oft sogar ganz legal aushebeln.

Na und, fragt so mancher aus der Betonkopf-Lobby. Schließlich dient das alles der inneren Sicherheit.
Aber Sicherheit und Privatheit sind Gegenpole. Sie auszubalancieren ist eines der höchsten Aufgaben des demokratischen Staatswesens. Die holländische Philosophiedozentin Beate Rössler schrieb kürzlich in der Süddeutschen Zeitung: „Je mehr andere über mich wissen und je mehr Daten die staatliche Exekutive über mich gesammelt hat, desto mehr unterliege ich notgedrungen dem Bewusstsein, dass ich beobachtet, gefilmt, belauscht, gesteuert werde. Ein selbstbestimmtes Verhalten wird hier untergraben: Es ist ein Verhalten unter fremder Kontrolle, ein Verhalten für andere.“ Wer sich beobachtet und kontrolliert fühlen muss, „kann in seiner Freiheit wesentlich gehemmt werden, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden“, sagte schon das Bundesverfassungsgericht 1983 in einem Grundsatzurteil zum Volkszählungsgesetz.

Identitätsmanagement könnte ein Weg sein, den Schutz des Einzelnen vor staatlichem Ausspähwahn wirksam zu schützen. Voraussetzung ist, dass ich jederzeit in der Lage bin, mir einen Überblick darüber zu verschaffen, welche Informationen über mich gespeichert werden. Alle heute in der Privatwirtschaft verfolgten Ansätze und Standardisierungsbemühungen beinhalten entsprechende Monitoring-Funktionen, unter anderen, weil sie von Staatswegen gefordert sind. Es wird Zeit, dass sich die Staaten an ihren eigenen Maßstäben messen lassen.  Sonst wird das, was in Athen noch wie ein Kinderspiel anmutet, nicht nur bei uns einmal bitterer Ernst.

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