„Jeder Kunde ist eine Zielgruppe!“

Das ist Service!

Meine Hamburger Journalistenkollegin Tatjana Pokorny von Tati Text hat den Auftrag bekommen, mich für die Kundenzeitschrift einer großen Telco zu interviewen. Die erste Fassung hat dem Auftraggeber nicht so gut gefallen, weil wir das Thema Telefonieren ausgelassen haben, also haben wir es nochmal probiert. Ich fand die erste Version aber eigentlich ganz gut, also dürfen die Leser des Cole-Blogs ihn hier lesen – sogar exklusiv!

Welche Ansprüche haben „im Internet aufgewachsene“ Kunden und Mitarbeiter heute an guten Service?

Höhere, jedenfalls, als je zuvor. Er will schneller und besser, vor allem aber persönlicher bedient werden. Wer immer noch glaubt, Kunden in „Zielgruppen“ zusammenzufassen und sozusagen nach dem Gießkannenprinzip behandeln zu können, wird nicht überleben. Jeder Kunde ist heute eine eigene Zielgruppe, und Personalisierung ist Trumpf, im Service und sogar in der Fertigung. Adidas stellt Laufschuhe mit dem 3D-Drucker her, die exakt auf den Fuß des Kunden angepasst sind. Der Kunde kann sogar das Design bestimmen. Das ist moderner Kundenservice!

Welche Eigenschaften sollte guter und erfolgreicher Service Ihrer Meinung nach haben?

Er sollte die Bedürfnisse der Kunden möglichst antizipieren. Wer im Zeitalter von Big Data seine Kunden gut genug kennt und diese Datenflut am besten auszuwerten weiß, der kann im Wege der „prädiktiven Analyse“, wie es Neudeutsch heißt, buchstäblich in die Zukunft blicken und die Kundenwünsche vorausahnen.

Sie haben in ihrem Buch „Das Kunden-Kartell“ schon vor 17 Jahren aufgezeigt, dass die zunehmenden Errungenschaften des Digitalzeitalters zugunsten der Kunden auswirken werden. Sie Ihre Prognosen eingetroffen? 

Nicht alle. Ich habe korrekt vorhergesagt, dass sich das Spielfeld zugunsten der Kunden absenken wird, und dass es die Anbieter immer schwerer haben werden, die wachsenden Kundenerwartungen zu erfüllen. Das mit den Kunden-Kartellen hat sich aber nicht bewahrheitet. Damals war gerade das „Power-Shopping“ en vogue, wo sich Kunden zusammentun und gemeinsam beim Anbieter um bessere Konditionen feilschten. Ich dachte, das Modell würde sich durchsetzen, was ganz klar ein Vorteil für den Kunden gewesen wäre, der sogar ganz legal Kartelle bilden könnte – im Gegensatz zum Anbieter, dem das per Gesetz ja verboten ist. Aber dann kam eBay und plötzlich dachte jeder, er könne auf eigene Faust losziehen und den besten Preis verhandeln. Das stimmt zwar nicht, aber es hat dem Kartell-Gedanken doch ein abruptes Ende beschert. Bis sich Kunden derart solidarisieren, wie ich mir das vorgestellt habe, wird es wohl noch eine Weile dauern.

Sie haben einmal gesagt, dass Kunden „wankelmütige Despoten“ sein können. Wie haben Sie das gemeint und wie können Unternehmen damit umgehen? 

Wenn der Kunde heute wirklich König ist, dann ist der Anbieter gut beraten, wenn er sich in Position als Hoflieferant bringt. Aber Achtung: Könige und Kaiser sind oft launisch und, ja, wankelmütig. Und wenn er sich auch nur einmal über seinen Lieferanten ärgert, ob zu Recht oder zu Unrecht, dann ist er weg, wahrscheinlich für immer. Deshalb spielen Dinge wie Reaktionszeit, Liefergeschwindigkeit und Beschwerdemanagement im Online-Geschäft so wichtige Rollen.

Computerstimme am Service-Telefon, Roboter als Bedienung beim Einkauf: Was hat der Kunde davon? 

Lieber eine Computer- als eine Tonbandstimme, die sagt: „Bitte warten!“ Das ist so 20stes Jahrhundert, das geht heute eigentlich gar nicht mehr! Wir leben, wie ich geschrieben habe, im Zeitalter der „Generation Jetzt!“. Sie will alles, und sie will es sofort. Jede Verzögerung wird als Störung empfunden, und stören lässt sich der Kunde heute nur sehr, sehr ungern.

Ergebnis vs. Erlebnis: Wo wird auch im schnell voranschreitenden Digitalzeitalter persönlicher Service gefragt bleiben? 

Ich denke, das hängt sehr vom Einzelnen ab. Einer geht gerne in den Laden und lässt sich beraten, fährt aber dann heim und kauft online, weil’s billiger oder bequemer ist. Der andere liest sich online tief in die Materie ein und weiß am Ende vielleicht sogar mehr über ein Produkt oder eine Dienstleistung als der Anbieter selbst – geht aber gerne in den Laden und lässt sich bedienen, weil er das als angenehm empfindet. Am Ende entscheidet der Kunde – und nur der Kunde – darüber, welchen Kanal er wofür verwendet: kaufen, beraten, kommunizieren. Dem Anbieter bleibt also gar nichts anderes übrig, als auf allen Kanälen – stationär, online, Telefon, TV, Papierkatalog, Mailing oder was sonst immer der Kunde will – präsent zu sein. Und gut zu sein! Wer auf einem der vielen Kanäle schwächelt, verliert die Kunden, die sich für diesen Weg entschieden haben. Wer kann sich heute leisten, bewusst auf eine ganze Kundengruppe zu verzichten? Ich kenne keinen.

Welche Unternehmen taugen noch zum Service-Vorbild und warum?

Amazon ist vor allem in seinem Stammgeschäft, dem Bücherverkaufen, Weltmeister darin, aus vergangenem Kaufverhalten und Korrelation mit dem Kaufverhalten anderer Kunden persönliche Empfehlungen zu generieren. Amazon liegt immer richtig! Die haben ja das sogenannte „One-Click-Shopping“ erfunden. Von mir aus könnten sie auch „No-Click-Shopping“ anbieten: Schick‘ mir einfach so lange Bücher, bis ich abwinke. Denn jedes Buch, das mir Amazon empfiehlt, empfinde ich als Bereicherung.

Wie viele große Unternehmen in Deutschland schöpfen Ihr Service-Potenzial heute aus? 

Keines.

Wann und warum haben Sie sich zuletzt über schlechten Service geärgert und was haben Sie selbst als herausragenden Service erlebt?

Jedes Mal, wenn ich mich im Supermarkt an der Kasse in die Schlange stellen muss. Auch hier zeigt Amazon, wohin die Reise gehen wird: Im Amazon Store hole ich nur die Dinge ab, die ich bereits online bestellt habe, und beim Verlassen des Ladens wird der Preis meinem Amazon-Konto belastet. Rein, raus – ruckzuck fertig!

Und richtig guter Service? Neulich steige ich in Dresden vor dem Steigenberger-Hotel aus. Der Page holt meinen Koffer aus dem Taxi und sagte dann: „Willkommen, Herr Cole!“ Ich stutzte, denn ich war seit Jahren nicht mehr dort. „Kennen wir uns?“, fragte ich ihn. Der junge Mann grinste und meinte: „Ihr Name steht ja auf dem Kofferschild…“

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