Netiquette – die Benimmregeln des Internet

Diese Liste von „Benimmregeln für das Internet“ habe ich 1999 geschrieben für das Loseblatt-Buch „Internet Praxis“, das ich für den Interest-Verlag geschrieben und anschließend ein paar Jahre lang mit vierteljährlichen Aktualisierungen betreut habe. Ich denke, es verdient, als Dokument der Internet-Geschichte festgehalten zu werden. Es hat sich seitdem eine Menge geändert – und vieles ist bis heute gleich geblieben…

Tim Cole, im Dezember 2014

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Während der artige Diener und der formvollendete Handkuss langsam aber sicher aus unserem Alltag ver­schwinden, blüht im virtuellen Raum der Datennetze eine Kultur, die auf einem erstaunlich stren­gen und komplexen Benimmregelwerk aufgebaut ist – der sogenannten „Netiquette“. Dabei geht es keineswegs um betont höfliche Umgangsformen, sondern eher darum, ei­nen Satz gemeinsamer Spielregeln festzulegen für die wichtigsten Aspekte des Online-Miteinander.

Manchmal wirken die Regeln auf Außenstehende unfrei­willig komisch. In Deutschland, zum Beispiel, das ein Pro­blem mit der direkten Anrede unter Fremden hat (und auf dem Internet sind sich die meisten „fremd“ insoweit, als sie sich in der Regel nie vorher gesehen haben). Im Com­pu­­Serve-Forum des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ wurde anfangs lange und zum Teil heftig da­rüber gestritten, ob das hanseatisch-förmliche „Sie“ statt des in Deutschland netzüblichen „Du“ zu verwenden sei.

Die Diskussion wurde zum Teil mit dem Stilmittel des „Flames“ ausgetragen. Das sind oft wüste Beschimp­fungstiraden, die einen Networker bei besonders eklatan­ten oder eben besonders dümmlichen Übertretungen der Netiquette ereilen können. Es geht darum, dem Verursa­cher durch überflüssigen Datenverkehr die Hölle mög­lichst heiß zu machen. Keine Spur von besonderer Höf­lichkeit – im Gegenteil. Gegen die formvollendete Inhalts­losigkeit der Etikette setzt die Netiquette den Schutz des Inhalts der weltweiten Kommunikation: die Substanz des Netzes. In­formationen, Nachrichten und Fakten sowie deren effektive Kommunikation sind allemal wichtiger als förm­liche Flos­keln oder akademische Allüren.

Sinn und Zweck der Netiquette ist also einzig und allein, uns allen im unübersichtlichen Datendschungel der Netze das Leben und Kommunizieren zu erleichtern. Da das In­ter­net bis heute auf eine weisungsbefugte Zentralinstanz und verbindliche Vorschriften verzichten konnte, müssen sich alle Beteiligten um einen möglichst reibungslosen Ab­lauf der Datenkommunikation kümmern. Dazu haben sie sich auf ein paar Regeln geeinigt, die jeder im Netz be­ach­ten sollte. Die wichtigsten lauten:

  • Verschwenden Sie keine Bandbreite: Das heißt verschicken Sie keine überflüssigen Nachrichten; schicken Sie nichts an alle Newsgroups und Mailing Lists, die Sie ken­nen, sondern nur an die, die es angeht, zitieren Sie keine ganzen Texte, wenn Sie nur auf einen Satz ein­ge­hen wollen, verzichten Sie darauf, sich ausgerechnet in der Signature (dem Absenderfeld einer E-Mail) als „ASCII-Künstler“ zu profilieren.
  • Nerven Sie nicht rum: Dazu zählen überflüssige Kom­men­tare oder dümmliche, überflüssige Fragen. Allgemein gilt für den Umgang mit Newsgroups: Erst mal orientieren und lesen, bevor man selbst postet.
  • Immer locker, aber präzise bleiben: Allzu große Förm­lichkeit wirkt im Kontext des Internet unter Umständen be­fremdlich und abstoßend. Und Langatmigkeit kostet den anderen Zeit und Geld.

Neben diesen eher allgemeinen, für das Verhalten in allen Teilen und Verästelungen des Internet gedachten Grund­regeln, gibt es für die einzelnen Unterbereiche und Funk­tionen eigene Regelwerke, die jeder tunlichst beachten sollte, der sich nicht massiven elektronischen Ärger mit seiner virtuellen Umwelt einhandeln will.

Die folgende Abhandlung basiert auf der Sammlung von „User Guidelines“, die Arlene H. Rinaldi an der Florida At­lantic University gesammelt und allen Teilnehmern des Internet in englischer Sprache zur Verfügung gestellt hat. Arlene gilt inzwischen als die Erika von Pappritz der Inter­net-Szene (inklusive einer gelegentlich nicht zu über­hö­renden altjungfernhafter Moralinsäure …). Sie können Sie per E-Mail unter folgender Adresse erreichen: rinaldi@ acc.fau.edu. Sie hat diese Regeln auch für User verfasst, die nicht über einen eigenen PC ins Net gehen, sondern beispielsweise über einen Uni-Rechner, den sie mit ande­ren teilen müssen. Einige ihrer Ratschläge sind nur vor diesem Hintergrund zu verstehen.

Wichtig ist, dass jeder Netzbenutzer seine bzw. Ihre Ver­antwortung erkennt die aus dem Zugang zu den weitläufi­gen Diensten, Seiten und Menschen entsteht. Die Benut­zer sind letztlich selbst verantwortlich für das, was sie tun.

Das Internet ist kein einzelnes Netz, sondern ein Verbund aus Tausenden von Einzelnetzen, die es zugelassen ha­ben, dass der weltweite Datenverkehr auch über sie läuft. Daten, die über das Internet verschickt werden, können unter Umständen mehrere unterschiedliche Netze durch­laufen, bis sie ihr Ziel erreichen. Deshalb müssen die Be­nutzer dieses Netzwerkverbunds sich im Klaren darüber sein, welche Belastung für andere Netze entsteht.

Als Benutzer eines Netzwerks kann Ihnen Zugang zu an­deren Netzwerken gestattet werden (und/oder zu einzel­nen Computersystemen innerhalb dieses Netzwerks). Je­des Netzwerk oder System hat seine eigenen Richtlinien und Verfahren. Handlungen, die auf einem Netz­werk/System routinemäßig gestattet sind, können auf ei­nem anderen Netzwerk/System eingeschränkt oder sogar verboten sein. Jeder Benutzer ist dafür verantwortlich, sich stets an die Richtlinien und Verfahren des jeweiligen Netzwerks/Systems zu halten. Denken Sie daran: Die Tatsache, dass ein Benutzer etwas tun kann bedeutet noch lange nicht, dass er es tun sollte.

Die Benutzung eines Netzwerks ist ein Privileg und kein Recht. Dieses Privileg kann jederzeit widerrufen werden, wenn es missbraucht wird. Zu den Verhalten, die einen sol­chen Widerruf nach sich ziehen könnte, zählen das Spei­chern von illegalen Informationen in einem System, die Verwendung von beleidigender oder sonst wie anstößiger Sprache in öffentlichen oder privaten Botschaften, das Versenden von Daten, die die Arbeit oder das System eines anderen zerstören könnte, das Versenden von „Kettenbriefen“, Massensendungen an Listen oder Einzel­personen sowie jede weitere Handlung, die den freien Datenfluss auf den Netzwerken behindern oder die Arbeit anderer stören könnte.

Ständige Verstöße gegen diese Grundsätze können sogar den dauernden Entzug des Netzwerkzugangs durch ent­sprechende Untersuchungsgremien nach sich ziehen.

 

Electronic Mail

Jeder Benutzer ist selbst für Inhalt und Pflege seines elek­tronischen Briefkastens verantwortlich. Ein paar Tips:

  • Schauen Sie jeden Tag nach Ihrer elektronischen Post und überschreiten Sie nicht das Ihnen zugeteilte Spei­chervolumen.
  • Löschen Sie unerwünschte Nachrichten sofort, da sie nur Speicherplatz blockieren.
  • Halten Sie die Zahl der in Ihrer Mailbox gespeicherten Nachrichten auf ein Minimum.
  • Mails können notfalls heruntergeladen oder ausgepackt und dann auf Disketten gespeichert werden.
  • Gehen Sie niemals davon aus, dass Mails nur von Ihnen und sonst von niemandem gelesen werden können; auch andere können sich unter Umständen Zugang zu Ihren E-Mails ver­schaffen. Versenden und speichern Sie nie­mals etwas, das Sie nicht auch notfalls in der Abend­zei­tung lesen wollten.

Der Benutzer ist für Inhalt und Pflege des Speicherplatzes verantwortlich, der ihm zur Verfügung gestellt worden ist:

  • Heben Sie möglichst wenig Dateien auf. Laden Sie Da­teien grundsätzlich auf Ihren eigenen Rechner oder auf Disketten.
  • Überprüfen Sie Ihr System regelmäßig und häufig auf Viren, vor allem, wenn Sie Dateien empfangen oder von anderen Systemen herunterladen.
  • Ihre Daten könnten möglicherweise von System­admi­nistra­toren eingesehen werden; bewahren Sie deshalb nichts Privates auf dem Ihnen zugeteilten Speicherplatz auf.

 

Elektronische Kommunikation

Schreiben Sie kurze Absätze und halten Sie Ihre Nach­richten kurz und bündig.

Beschränken Sie sich auf ein Thema pro Nachricht.

Seien Sie professionell und vorsichtig mit dem, was Sie anderen sagen. E-Mail lässt sich leicht weiterleiten.

Kennzeichnen Sie alle Zitate, Referenzen und Quellen.

Limitieren Sie Satzlänge, vermeiden Sie Kontrollzeichen.

Halten Sie sich bei der Kommunikation mit Vorgesetzen an die festgelegten Kommunikationswege. Schicken Sie zum Bei­spiel dem Boss nicht unbedingt Beschwerde-E-Mails di­rekt, nur weil Sie es können.

Benützen Sie keine akademischen Netzwerke für kom­mer­zielle oder persönliche Arbeit.

Fügen Sie Ihrer E-Mail ein Unterschriftenfeld (Signature Field) an. Es sollte Namen, Position, Firmenzugehörigkeit und Internet-Adresse enthalten und nicht länger als 4 Zei­len sein. Zusätzlich kann das Unterschriftenfeld Ihre Post­adresse und Telefonnummer enthalten.

Benützen Sie Großbuchstaben nur, um etwas zu betonen oder um eine Überschrift zu kennzeichnen. *Sternchen* vor und nach einem Wort dienen ebenfalls der Betonung.

Seien Sie vorsichtig, wenn Sie empfangene Mails an Gruppen oder Mailing Lists weitergeben. Im Zweifelsfall ist es besser, die Quelle eines Dokuments anzugeben zu­sammen mit Anweisungen darüber, wie der Leser das Do­kument selbst empfangen kann.

Es gilt als äußerst unhöflich, persönliche E-Mails an Mai­ling Lists oder Newsgroups weiterzuleiten, ohne den Ab­sender vorher um Erlaubnis zu bitten.

Seien Sie vorsichtig beim Umgang mit Humor und Sar­kasmus. Ohne Kommunikation von Angesicht zu Ange­sicht könnte Ihre witzig gemeinte Bemerkung als Kritik empfunden werden.

Respektieren Sie Copyright- und Lizenzvereinbarungen.

Wenn Sie einen anderen zitieren, löschen Sie alles her­aus, was nicht unmittelbar mit Ihrer Antwort zu tun hat. Wenn Sie ganze Artikel zitieren, kann das die Empfänger unnötig verärgern.

Benützen Sie wenn möglich Abkürzungen und Emoticons.

 

Anonymous FTP

Benutzer sollten auf die Aufforderung, ein Passwort einzu­geben, mit ihrer E-Mail-Adresse reagieren, damit der Be­treiber die Häufigkeit und den Grad der FTP-Nutzung über­­prüfen kann, wenn er dies wünscht. Wenn Ihre E-Mail-Adres­se zu einem Systemfehler führt, tragen Sie bei der näch­sten Passwort-Aufforderung „GUEST“ ein.

Verschieben Sie größere Downloads, vor allem solche mit ei­ner Größe von über einem Megabyte, möglichst auf die ört­lichen Abendstunden sowie auf eine Zeit, in der es beim an­gerufenen FTP-Server Nacht ist.

Halten Sie sich an die vom Betreiber des FTP-Archivs fest­gelegten zeitlichen Nutzungsbeschränkungen. Denken Sie stets daran, wie viel Uhr es beim Betreiber des Archivs ist und nicht daran, wie viel Uhr es bei Ihnen ist.

Kopieren Sie heruntergeladene Dateien auf Ihren eigenen Rechner oder auf Disketten, um die Grenzen Ihrer Spei­cherzuteilung nicht zu überschreiten.

Der Benutzer muss sich vor dem Herunterladen von Pro­grammen vergewissern, ob Urheberrechts- oder Lizenz-Vereinbarungen vorhanden sind. Wenn Ihnen das Pro­gramm etwas nützt, ist möglicherweise Autorenhonorar fällig. Sehen Sie im Zweifelsfall vom Herunterladen eines Programms ab; es hat in der Vergangenheit viele Fälle gegeben, bei denen urheberrechtlich geschütztes Material in öffentliche FTP-Archive gelangt ist. Unterstützung für heruntergeladene Programme sollte beim Hersteller des Programms angefordert werden. Löschen Sie Programme wieder, wenn Sie sie nicht benützen wollen.

 

Mailing Lists und Diskussionsgruppen

Manche Mailing Lists verursachen wenig Datenverkehr, andere können Ihren elektronischen Briefkasten mit Hun­derten von Mails pro Tag zum Überquellen bringen. Viele eingehende Nachrichten von verschiedenen Listservern erfordern erheblichen Systemverwaltungsaufwand und binden damit unter Umständen wertvolle Ressourcen. Tra­gen Sie sich nicht in mehr Mailing Lists oder Diskussions­gruppen ein, als Ihre Speicherzuteilung – oder Sie selbst – bewältigen können.

Sorgen Sie dafür, dass Ihre Fragen und Bemerkungen Be­zug zum Thema der Diskussionsgruppe haben.

Hüten Sie sich vor der Versuchung, andere mit „Flames“ zu überziehen. Bedenken Sie, dass diese Diskussionen „öf­fent­lich“ und für konstruktiven Austausch bestimmt sind. Behandeln Sie andere auf der Liste so, wie Sie selbst be­handelt zu werden wünschen.

Wenn Sie eine Frage an eine Diskussionsgruppe stellen, bitten Sie darum, dass Antworten an Ihre persönliche E-Mail-Adresse gehen sollen. Posten Sie später eine Zu­sam­menfassung oder die Antwort im Gruppenteil.

Wenn Sie eine Anfrage aus einer Diskussionsgruppe be­antworten, vergewissern Sie sich, dass die Antwort wirklich an die beabsichtigte Stelle geschickt wird (Person oder Gruppe).

Wenn Sie sich einer Gruppe anschließen, bewahren Sie das Bestätigungsschreiben zum späteren Nachschlagen auf.

Wenn Sie länger als eine Woche unterwegs sind, melden Sie sich entweder aus der Gruppe ab oder lassen Sie Ihre Mitgliedschaft solange ruhen.

Wenn Sie auf die Frage eines anderen reagieren, tun Sie dies per E-Mail. Wenn zwanzig Leute alle auf die gleiche Frage in einer großen Liste antworten, kann das Ihre Mail­box (und die aller anderen) sehr schnell füllen.

Benützen Sie stets Ihre eigene E-Mail-Adresse; benützen Sie niemals eine gemeinsame Büroadresse, um sich in einer Mailing List oder Newsgroup anzumelden.

Andere Leute in der Liste interessiert es nicht, ob Sie sich an- oder abmelden wollen. Alle Anfragen bezüglich der Mitgliederverwaltung sollten deshalb an die entsprechende Adresse geschickt und nicht im öffentlichen Teil der Grup­pe gepostet werden. Bei LISTSERV-Gruppen ist dies in der Regel LISTSERV@<Hostname>; bei Mailing Lists wenden Sie sich an <Listname>-REQUEST@<Hostname> oder <Listname-OWNER@Hostname>.

Um sich bei Mailing Lists oder LISTSERV-Gruppen an- oder abzumelden, schreiben Sie in den Text der Nach­richt: SUBSCRIBE <Listname Vorname Nachname> für die Auf­nahme in eine Liste bzw. UNSUBSCRIBE <Listname> zum Kün­digen einer Mitgliedschaft.

 

Sinn und Zweck der Netiquette ist einzig und allein, allen im unübersichtlichen Datendschungel der Netze das Leben und Kommunizieren zu erleichtern. Da das In­ter­net bis heute auf eine weisungsbefugte Zentralinstanz und verbindliche Vorschriften verzichten konnte, müssen sich alle Beteiligten um einen möglichst reibungslosen Ab­lauf der Datenkommunikation kümmern.

Die wichtigste Regel – „verschwende keine Bandbreite“ – ist ein Vermächtnis aus der Zeit, als das Internet noch langsam funktionierte und Zeit im wahrsten Sinne des Wortes Geld bedeutete, nämlich: Keine Bandbreite verschwenden! Damit ist die Unsitte gemeint, den Besucher einer Website dazu zu zwingen, aufwendige Bild-, Grafik- oder Sound-Dateien herunterzuladen, ohne dass für ihn ein besonderer Nutzen erkennbar wird. Schließlich bezahlt im Internet jeder seine eigenen Verbindungskosten. Wer beim Aufbau eines Firmenlogos auf dem Bildschirm im Hinterkopf die Gelduhr ticken hört, wird nicht besonders aufnahmefähig für etwaige Werbebotschaften sein, die sich mit diesem Logo verbinden sollen.

Solche Lektionen lernt nur derjenige, der selbst im Internet surft. Weshalb die erste und wichtigste Forderung muss deshalb lauten: Gehen Sie online! Besorgen Sie sich zu Hause einen Internet-Anschluss und verbringen Sie so viele Stunden wie nur irgendwie möglich im World Wide Web. Je erfahrener Sie im Umgang mit dem neuen Medium sind, desto seltener werden Sie gegen die ungeschriebenen Gesetze der Netiquette verstoßen – und desto mehr Spaß und Erfolg werden Sie im und mit dem Internet haben.

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