Nichtwissen darf man nicht glauben

Es lebe der Qualitätsjournalismus!

Was treibt Wissenschaftler wie die (bislang) anonyme Doktorandin an der renommierten Chartié in Berlin oder Journalisten wie die so genannten Qualitätsjournalisten der „Süddeutschen“ an, Lügen über Handystrahlen in die Welt zu setzen? Es gibt nur eine vernünftige Erklärung: religiöse Unvernunft. Die Diskussion um Handystrahlen hat längst Ton und Form einer klerikalen Debatte angenommen, in der es nicht um Fakten, sondern um den wahren Glauben geht.

Physikalischer Fakt ist: Strahlen von der Art und der Intensität, wie sie von handelsüblichen Mobilfunkgeräten ausgehen, können nicht zu Brüchen im DNA-Strang des Menschen führen. Daraus folgt mit zwingender medizinischer Logik: Handystrahlen können keinen Krebs verursachen. Punkt. Ende der Debatte.

Aber was kümmert uns die Physik? Wenn die Zahlen nicht das gewünschte Ergebnis bringen, dann stimmen die Zahlen nicht. Das dachte sich jedenfalls eine junge Doktorandin in Berlin, die angebliche Beweise für die genverändernde Wirkung von Handystrahlen vorlegte.

Die Doktorandin, die inzwischen als Fachärztin in der Inneren Medizin einer Neuruppiner Klinik arbeitet, hatte zwischen 2000 und 2004 an der „Reflex“-Studie mitgearbeitet, die sich mit der Erforschung möglicher Schädigungen des Erbguts durch Mobilfunkgeräte befasste. An der Studie nahmen zwölf Forschergruppen aus sieben europäischen Ländern teil. Das Projekt wurde mit mehreren Millionen Euro gefördert.

Als einzige Forscherin wollte die Berlinerin angeblich Strangbrüche am menschlichen DNA beobachtet und dokumentiert haben. Ihr Professor, Rudolf Tauber, stellvertretender Dekan des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Klinische Chemie und Pathobiochemie an der Charité, segnete 2006 ihre Ergebnisse ab.

Der Bremer Biologieprofessor Alexander Lerchl, der selbst auf diesem Feld forscht, wies die Charité bereits im August 2010 auf Mängel der Doktorarbeit hin. Seine Bitte um Übersendung der Originalresultate wurde fast ein Jahr lang von Tauber & Co. mit fadenscheinigen Begründungen hinausgezögert. Als Lerchl sie schließlich einsehen konnte, war auch schnell klar, warum die Charité sich mit der Herausgabe so schwer getan hatte: Die Ergebnisse waren gefälscht! Zahlen, die nicht das gewünschte Resultat ergaben, wurden einfach schön gerechnet, Fotos von angeblich gebrochenen DNA-Strängen waren mit PhotoShop retuschiert worden.

Was jetzt passieren wird, ist sonnenklar: Die Doktorandin wird ihren Titel abgeben müssen, Tauber seinen Hut, und die Millionen an Steuergeldern für die Reflex-Studie können wir wohl abschreiben. Dieses Risiko haben die Betroffenen bewußt auf sich genommen, denn sie wussten ja, was sie taten, und sie mussten wissen, dass sowas herauskommen kann. Warum also? Rationalität kann jedenfalls nicht im Spiel gewesen sein. Hier haben Wissenschaftler ihre Gehirne ausgeschaltet und sich ganz und gar von ihrer Weltanschauung steuern lassen.

Was uns zu jenem Schlagzeilenschreiberling in der Redaktion der „Süddeutschen“ bringt, der bereits 2007 seine Leser zum Frühstückskaffee die marktschreierische Headline servierte: „Handys können Krebs auslösen“. Keine Qualifizierung, kein „vieleicht“ oder „angeblich“. „Können Krebs auslösen“, basta!

Wer damals mit klarem Kopf den Text der Meldung las, merkte natürlich sofort, dass es sich um eine Zeitungs-Ente handeln musste. Denn in dem von Christopher Schrader verfassten und durchaus seriösen Beitrag hieß es ganz klar, dass sich in einigen Studien zum Thema Krebs durch Handystrahlen „die Hinweise wenn nicht zum Beweis, so doch zum Verdacht“ verdichten.

Derjenige, der die Headline zu dieser Meldung verbrochen hat, wusste ebenfalls genau, was er tat. Er hat aus einem Verdacht einen Beweis gebaut und hat bewußt die Unwahrheit geschrieben. Er hat damit den Ruf seines Blattes nachhaltig geschädigt – und warum? Weil er glaubt, dass Handystrahlung Krebs erzeugt, und von diesem Glauben kann ihn nichts und niemand abbringen, am allerwenigsten die Fakten. Er fühlt sich deshalb auch legitimiert, seine Botschaft hinaus zu posaunen, denn er besitzt die Wahrheit, die sonst keiner auszusprechen wagt und die erhaben ist über alle Zweifel von Wissenschaft oder Phsyik.

Im Gegensatz zur Berliner Doktorandin muss der Lügenschreiber bei der „Süddeutschen“ vermutlich keinen Karriereknick fürchten. Womit sich allerdings die Redaktionsleitung mitschuldig macht. Was schade ist, denn auch ich hielt die SZ immer für eines der letzten Bastione von Qualitätsjournalismus in Deutschland.

Glaube heisst nicht wissen, sagte Nietzsche. Wer Nichtwissen in die Welt setzt, dem kann man nicht glauben, lautet mein Umkehrschluss. Das gilt für Wissenschaftler ebenso wie für Journalisten.

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