Technik verkaufen, Teil 6: Voraussetzungsloses Verkaufen, oder die Kunst, verstanden zu werden

„Einen Satz verstehen, heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist.“ Dieser Satz des österreichischen Sprachphilosophen Ludwig Wittgenstein (1889-1951) in seinem Hauptwerk, „Tractatus logico-philosophicus“, ist deswegen so lehrreich für das, was wir ‚Verstehen von Sätzen‘ nennen, weil sie zeigt, dass es zweierlei Voraussetzungen dieses Verstehens gibt: Sprache und Wahrheit. Sprachwissenschaftler behaupten, dass beide Voraussetzungen den gleichen Rang haben. Wir können zwar die Worte eines Satzes und mit ihnen seinen Sinn verstehen: Dann haben wir das verstanden, was der Satz aussagt. Wenn wir aber nicht wissen und entscheiden können, ob der Satz wahr oder falsch ist, haben wir nicht wirklich verstanden, was er bedeutet.

Von der Theorie schnell zurück zur Praxis: Um in einem Verkaufsgespräch einen Kunden zu überreden, ein Produkt oder eine Dienstleistung zu kaufen, heißt, ihn davon zu überzeugen, dass er sie wirklich braucht. Er muss also dass, was ihm der Verkäufer sagt, als „wahr“ erkennen um zu verstehen, dass es in seinem Sinne ist, den Kaufvertrag zu unterschreiben. Verständlichkeit im Sinne Wittgensteins ist also die Voraussetzung für erfolgreiches Verkaufen (auch wenn der große Gelehrte das sicher nicht so beabsichtigt hat).

Verbale Kurzschrift: Weglassen oder nicht?

Ein Hauptproblem von Technikern, die Nichttechnikern etwas verkaufen sollen (oder überhaupt mit ihnen kommunizieren wollen) besteht darin, dass sie oft wichtige Dinge weggelassen. Das ist nicht Absicht, sondern liegt sozusagen im Wesen und den anerzogenen Umgangsformen von Technikern begründet. Techniker wissen nun mal eine ganze Menge über Technik im allgemeinen und über ihr spezielles Fachgebiet im besonderen. Sie wissen auch, dass andere Techniker auch eine Menge wissen. Schließlich haben beide lange gelernt und studiert, bis sie dorthin gekommen sind, wo sie jetzt sind.

Und so hat sich mit der Zeit ein seltsamer Ehrencodex herausgebildet: Techniker gehen wie selbstverständlich davon aus, dass ihr Gesprächspartner gewisse Zusammenhänge, Funktionsprinzipien, Wirkungsweisen und Hintergründe bereits kennt. Und sie verwenden deshalb eine Art verbaler Kurzschrift. Sie glauben, allzu ausführliche Erläuterungen seien überflüssig. Ja, schlimmer noch: Sie halten solche Erläuterungen im Grunde für unhöflich und befürchten, ihr Gesprächspartner könnte beleidigt reagieren, so nach dem Motto: „Das hätten Sie einem wie mir ja nun wirklich nicht  erklären müssen, mein Lieber!“

Dass dies ein Irrtum ist, und dass die meisten Menschen dankbar sind, wenn ihnen der Gesprächspartner Verständnisbrücken baut, müssen manche Techniker leider erst noch lernen. Nehmen wir als Beispiel doch einfach einmal diesen Text, den Sie gerade lesen. Zu Beginn der vorigen Seite wurde Wittgenstein zitiert. Sie, geneigter Leser, wissen natürlich, wer Wittgenstein war und wann er gelebt hat. Wahrscheinlich haben Sie während des Studiums nächtelang wachgesessen und seinen „Tractatus“ verschlungen, während Ihre Kommilitonen selig schliefen oder sich die Nächte sonst wo um die Ohren schlugen. Sie haben deshalb über die kurze Vorstellung Wittgensteins, seiner Lebensdaten und seines Buchtitels hinweggelesen und sich gedacht: „Na, also das hätte der ja nun wirklich nicht noch mal hinschreiben müssen – das weiß man doch!“

Aber sind Sie deshalb böse gewesen, weil es dort stand? Nein. Und Ihr Studienkollege, der lieber in die Kneipe ging als seinen Wittgenstein zu lesen, hat zumindest eine Ahnung bekommen, worum es geht und wird dieses Buch deshalb wahrscheinlich mit größerem Vergnügen und vor allem mit mehr Erfolg lesen, als wenn ihn der Autor mit der saloppen Namensnennung verwirrt hätte („Wittgenstein, Wittgenstein? War das nicht so’n schwedischer Feldherr im Dreißigjährigen Krieg, über den Schiller…?“).

Ferdinand Simoneit, der in den 70er und 80er Jahren Chefredakteur der Zeitschrift „auto motor und sport“ war, trichterte seinen Journalisten ein, stets „voraussetzungslos“ zu schreiben. Das war auch bitter nötig, denn „ams“, wie das Blatt unter Fachleuten heißt, war damals noch ein echtes Automobilisten-Fachblatt. Würde man ein Heft schräg halten, so ein Witzbold in der Redaktion, würde Motorenöl raustropfen. Wer nicht mindestens Automechaniker, besser noch Ingenieur war, verstand bei der Lektüre mancher Fachbeiträge nur noch Bahnhof.

Damit war jedoch die potenzielle Leserzahl der Zeitschrift arg begrenzt. Und Simoneit, der von Blättern mit Massenauflage wie „Spiegel“ und „Capital“ kam, wollte die Verkaufszahlen möglichst rasch in die Höhe treiben. Er hatte deshalb zwei Möglichkeiten: Die gesamte Redaktion rausschmeißen und durch Publikumsjournalisten ersetzen (was aber, da diese leider nicht sehr viel von Autos verstanden, vermutlich die bisherigen treuen Leser stark vergrault hätte) oder die bestehende Redaktion von Fachleuten dazu bringen, sich verständlich auszudrücken. Er entschied sich für letzteres, ließ Schulungen durchführen und veranstaltete ausführliche Heftkritiken, bei denen er Stil-Sünder entlarvte und Verbesserungsvorschläge machte. Und siehe da: Mit der Zeit begannen selbst diejenigen Autoschreiber, bei denen die schwarze Wagenschmiere unter den Fingernägeln nie ganz wegzuschrubben war, einfach und verständlich zu formulieren – voraussetzungslos, eben.

Regeln für voraussetzungsloses Sprechen

Voraussetzungsfreies Reden und Schreiben ist also lernbar. Der Techniker, der ein komplexes Produkt oder eine Dienstleistung verkaufen muss, kann mit etwas Übung die Fähigkeit meistern, auch einen Nichttechniker zu überzeugen und zu begeistern. Er muss nur ein paar Regeln kennen und beachten wie zum Beispiel:

Fassen Sie sich kurz: Überladen Sie den anderen nicht mit Fakten. Packen Sie diese statt dessen in appetitliche Häppchen – nur so viel, wie man auf einmal schlucken kann. Teilen Sie eine komplexe Aussagen in mehrere kurze Sätze auf (je maximal 15 Wörter). Auch innerhalb eines Satzes können viele Wörter ersatzlos gestrichen werden. Statt: „Der Klebstoff eignet sich für die Verklebung einer ganzen Reihe von Metallen“ sagen Sie doch lieber: „Der Klebstoff eignet sich für viele Metalle.“ Der zweite Satz sagt das gleiche aus, ist nicht einmal halb so lang.

Nennen Sie die Dinge beim Namen: Benützen Sie keine vagen Umschreibungen für Zahlen, Zeiträume, Personen oder Produkte („seit geraumer Zeit“), sondern sagen Sie klipp und klar, wie viel, wie lange, wer oder was („in den letzten sechs Monaten“).

Berichten Sie anschaulich: Würzen Sie Ihre Beschreibung mit Beispielen, Bildern und Vergleichen („etwa so groß wie ein VW Käfer“, „lässt sich biegen wie ein Baumbusstab“).

Verwenden Sie aktive Ausdrücke und Begriffe: Sind sie wohnhaft – oder wohnen Sie? Benützen Sie Verben, die eine Tätigkeit beschreiben („gehen“, „zeigen“, „bewegen“, „machen“) – im Gegensatz zu Passiv-Konstruktionen („muss geklärt werden“, „es sei darauf hingewiesen“, „werden zurückerstattet bekommen“).

Vermeiden Sie Substantivierungen: Diese in der Fachsprache als „Nominalisierung“ bezeichnete Unart, aus einem Verb oder einem Adjektiv ein  Hauptwort zu bilden ist sehr weit verbreitet. Ein Tätigkeitswort ist aber immer viel lebendiger als ein Hauptwort („ausgeliefert“ statt „wurde zur Auslieferung gebracht“). Als Daumenregel gilt: Alls Wörter vermeiden, die mit „-ung“ und „-keit“ enden.

Werden Sie persönlich: Die Ich-Form wirkt verbindlicher als das neutrale, langweilige „man“. Sie nehmen damit den Zuhörer an die Hand und schmeicheln ihm auch ein bisschen mit Ihrer Aufmerksamkeit.

Erzählen Sie die Vorgeschichte: Wie kam Ihre Firma auf die Idee, das Produkt zu bauen? Wer hat die Entwicklung geleitet? Wie waren die ersten Erfahrungen? Menschen sind neugierig – nutzen Sie das aus, um Interesse zu wecken und Verständnis zu schaffen.

Zeigen Sie die Zusammenhänge auf: Für Sie mag es ja offensichtlich sein, aber ist es für den anderen auch? Im Zweifelsfall ruhig ein bisschen weiter ausholen.

Wiederholen Sie die wichtigsten Punkte: Nur so können Sie sicher sein, dass sie Ihrem Gesprächspartner in Erinnerung bleiben.

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