Test bestanden – Patient tot

Hurra – ich werde 83 Jahre alt! Oder 78. Vielleicht auch nur 77. Kommt darauf an, welchen Lebenserwartungs-Test ich im Internet mache.

Es gibt sie zuhauf, die mehr oder weniger ernstgemeinten Online-Fragebögen die vorgeben, mir die Lebenszeit zu verraten, die noch vor mir liegt.

Am längsten würde ich wohl in der Schweiz leben: Die von der Eduard-Auermann-Stiftung betriebe Website test.gesundheit.ch bescheinigt mir „mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit“ etwa 26 weitere Jahre – vorausgesetzt, ich befolge ein paar gutgemeinte Ratschläge. So hat meine ehrliche Antwort auf die Frage nach dem Alkoholgenuss – 4 Glas Bier (2,5 dl) oder Schnaps (2 cl) normalerweise pro Tag – sofort zu einer Negativbewertung geführt: „Ihre mutmaßliche Lebenserwartung könnte höher sein, wenn Sie Alkohol nur in geringen Mengen konsumieren würden. Versuchen Sie Ihren Konsum auf drei Glas täglich zu beschränken.“ Außerdem soll ich weniger Fett essen. Dafür bekam ich Lob dafür, das „Sie schon längere Zeit nicht mehr rauchen“ und dass ichj (als Marathonläufer) „sich regelmäßig intensiv bewegen.“

Die kürzeste Lebenserwartung habe ich in Deutschland. Die vom Bankhaus August Lenz in München Testseite (die allerdings auf Englisch als „longevitytest“ firmiert) gibt mir noch 20 Jahre, macht sich aber Sorgen, ob ich „auch über die finanziellen Mittel“ verfüge, um meinen bisherigen Lebensstandard unbeschwert und in Ruhe genießen zu können. Ganz klar, also, welche Interessen hier vertreten werden: Die wollen nur mein bestes – und davon so viel wie möglich…

Ähnlich offensichtlich ist die Agenda bei dem – im Übrigen sehr lustigen – „Longevity Game“ der Northwestern Mutual, einem Finanzdienstleister und Versicherer aus dem US-Bundesstaat Wisconsin. Das Spiel hat außerdem den Vorteil, sehr schnell gespielt werden zu können: Es werden gerade eben ein Dutzend Fragen nach Gewicht, Trink- und Rauchgewohnheiten, Stressmanagement und Autofahrergewohnheiten („Schnallen Sie sich regelmäßig an?“) gestellt, dazu allerdings die für einen Mitteleuropäer eher ungewöhnliche nach dem Konsum von „Unterhaltungs-Drogen“ („recreational drugs“). Na ja, München gilt schließlich als Koks-Hauptstadt Deutschlands, aber woher wissen die das denn? Immerhin: Bis 77 müsste ich deren Meinung nach durchkommen, bevor ich den Hintern zukneife.

Ein anderer Tester macht sich nicht nur darüber, wie alt ich werden könnte, sondern auch über das, was danach kommt. „Wie wir leben und glauben kann Einfluss haben auf unsere Lebensdauer“, schreiben die Betreiber von wholeperson-counseling.org, die nicht nur wissen wollen, ob ich gelegentlich – vermutlich als unrein angesehenes – Schweinefleisch esse, sondern auch, ob ich „sexuelle Sünden“ begangen habe und den Sabbat achte. Ob ich je den Heiligen Geist belüge, will man wissen, vielleicht um mir einen lebensverkürzenden Donnerschlag von oben androhen zu können. Übrigens war dieser Test der einzige, bei dem es am Ende kein eindeutiges Resultat gab. Um die Antwort zu bekommen, hätte ich zuerst meine Mailadresse abliefern müssen, was ich nicht getan habe. Womöglich stehen die plötzlich mit der Bibel vor meiner Haustür – oder eine geladenen Kalaschnikow…

Den mit Abstand ausführlichste (Über-)Lebens-Test fand ich übrigens bei der britischen Firma HB Health, die sich selbst als der „führende Spezialist-Provider von Anti-Ageing in Europa“ bezeichnet. Mit dem klaren Ziel vor Augen, „Gesundheit, Wellness und höhere Lebensqualität für Menschen jedweden Alters zu fördern”, vertreibt das Unternehmen allerlei Gesichtscremes („Lavender Satin Cleanser“), Analysemethoden („Biological Age Test“) und „Ästhetische Behandlungen“ wie „Mesotherapie“ und „nicht-chirurgische Gesichtsformung“. Der Online-Fragebogen geht denn auch in die Vollen: Der fünfteilige Test verlangt nicht nur detaillierte Auskunft über den derzeitigen Gesundheitszustand (Blutdruck, Cholesterinspiegel, „Taille-Hüft-Verhältnis“ und aktuelle Medikamentierung, sondern auch solche eher psychologischen Faktoren wie Anzahl enger Freunde, Hobbies und Autotyp. Ergebnis: Mit 78 ist bei mir eindeutig Schluss. Wobei am Ende der dezente Hinweis auf die diversen Dienstleistungen des Hauses und damit auf einen potenziellen Aufschub des Termins mit dem Sensenmann natürlich nicht fehlen darf.

Ob es wohl etwas bringt? Immerhin ist bekannt, dass die Zahl der Hundertjährigen in den entwickelten Ländern seit Jahren zunimmt. Königin Elisabeth von Großbritannien verschickt seit ihrer Inthronisierung 1952 persönliche Glückwünsche an so genannte Zentenare. Als sie damit anfing, waren es 255 im Jahr. 2005 musste sie genau 4.623 solcher Briefe unterschrieben. Mit irgendwo zwischen 77 und 83 sehe ich also (man verzeihe mir das plumpe Wortspiel) ziemlich alt aus.

Aber vielleicht mache ich auch nur die falschen Tests. Forscher um Richard Cawthon von der Universität Utah in Salt Lake City haben jüngst festgestellt, dass schrittweise Verkürzung an den Chromosomenenden, den so genannten Telomeren, für den Alterungsprozess beim Menschen verantwortlich sind, wie die britische Wissenschaftzeitschrift „The Lancet“ jetzt berichtet. Teile der Telomere, die – vergleichbar den Plastikringen an den Enden von Schnürsenkeln – die Enden der Chromosomen umschließen, gehen bei jeder Zellteilung verloren. Diese Abfall-Telomere können Chromosome zu Verbindungen verleiten und so Wucherungen hervorrufen. Eine Folge davon sind Krebserkrankungen oder Herzkrankheiten, die weitaus häufiger bei älteren Menschen auftreten als bei jungen Menschen.

Mit ihren Untersuchungen konnten die Forscher nun den Zusammenhang zwischen der Abnutzung der Telomere und solchen altersbedingten Krankheiten beweisen. Versuchspersonen mit längeren Telomeren lebten im Durchschnitt vier bis fünf Jahre länger. Die mit kürzeren Telomeren zeigten zudem ein mehr als dreimal so hohes Risiko, an Infektionskrankheiten zu sterben.

Leider fragen die Online-Tester, die mir Gewissheit über meine verbleibende Lebensdauer versprechen, nicht nach meiner Telomerenlänge. Wäre auch sinnlos: Der entsprechende Test ist online kaum durchzuführen. Jedenfalls noch nicht.

 

 

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