Vernetzung als Unternehmensprinzip

DigitransEin aufmerksamer Chef wird sich beim Rundgang durch sein Unternehmens heute schon klar erkennen, dass vieles nicht mehr so funktioniert wie früher. Dabei steht die Digitale Transformation noch ganz am Anfang eines langen Weges. Die zunehmende Vernetzung endet ja bekanntlich nicht an der Pförtnerloge, sondern reicht weit darüber hinaus und erfasst Partner, Zulieferer, Berater und vor allem die eigenen Kunden, die allesamt zunehmend als Teil des eigenen Unternehmens funktionieren und verstanden werden müssen.

Es lohnt sich, einmal die Helikopterperspektive einzunehmen und einige der wirkungsvollsten Trends in den wichtigsten Kernabteilungen eines typischen Unternehmens anzuschauen.

Vertrieb: Verkaufen war früher eine Kunst; heute ist es eine Wissenschaft. Kaufentscheidungen fallen immer häufiger schon lange, bevor ein Kunde in den Laden kommt oder auf der Website eines Unternehmens landet. Im „Vertrieb 2.0“ spricht man von der „Customer Journey“, der Reise des Kunden zum Produkt, die in aller Regel ohne Einfluss des Anbieters beispielsweise im Social Web beginnt, wo Kunden sich mit anderen Kunden über ihre Erfahrungen und Vorlieben austauschen und sich so einer Kaufentscheidung langsam nähern.

Wie ein immer enger werdender Trichter führt die Reise oft über mehrere Plattformen, wie Facebook, Twitter oder YouTube, zunächst auf die Seiten einflussreicher Blogger, die es geschafft haben, sich einen Ruf als ebenso sachkundige wie neutrale Berater aufzubauen. Erst dann führt der Weg des Kunden zu einem Webshop oder der Homepage der Firma. Und da ist die Entscheidung in aller Regel schon längst gefallen.

Die Funktion der Website ändert sich also: Sie ist nicht mehr das Schaufenster der Firma im Cyberspace, vor dem Kunden auf und ab flanieren und sich interessiert die Auslagen anschauen. Sie wird zunehmend zum Abwicklungs- bzw. Transaktionsportal, wo der Kunde mit möglichst wenigen Mausklicks seine Bestellung aufgeben möchte. Generationen von Web-Designern haben ihr Kreativpotenzial ausgelebt (und gut dafür kassiert), indem sie möglichst attraktive, werbewirksame Online-Auftritte für Firmen geschaffen haben. Heute hat der Kunde keine Zeit mehr für blinkende Banner oder hochauflösende Bilder und Grafiken, die auch im Zeitalter von Highspeed-Internetanschlüsse immer noch Ladezeit in Anspruch nehmen: Der Kunde will aber alles JETZT! Firmen müssen also umdenken: Geschwindigkeit und Bedienkomfort sind heute wichtiger als bunte Bildchen.

Marketing: Früher war es die Aufgabe der Unternehmenskommunikation, möglichst werbestarke Botschaften zu formulieren und diese breit gestreut nach außen zu tragen. Aber Märkte sind heute Unterhaltungen, und Marketingabteilungen müssen lernen zuzuhören. Das fällt ihnen oft schwer und vor allem rührt es an ihrem Selbstverständnis.

„Inbound Marketing“ moderner Prägung hat die Aufgabe, die Kunden im Internet aufzuspüren und sie dort ins Gespräch zu verwickeln. Das ist gar nicht so einfach, denn der Kunde hat die unangenehme Art, sich seine Gesprächspartner selbst aussuchen zu wollen. Wer plump hereinplatzt, hat meistens schon verloren.

Stattdessen muss das Marketing Geduld aufbringen und vor allem lernen, dem Kunden zuzuhören. Es muss dann das Gehörte ins Unternehmen zurücktragen und an die zuständige Stelle weiterleiten. Das kann beispielsweise die Produktentwicklung sein, die wissen muss, was sich die Kunden wirklich wünschen. Es kann der Kundendienst sein, der auf diese Weise erfährt, dass Kunden aus einem bestimmten Grund mit dem Unternehmen unzufrieden sind, um dann Kontakt mit ihnen aufzunehmen und zu versuchen, verstimmte Kunden in zufriedene umzuwandeln – denn die sind, wie die jahrzehntelange Erfahrung im Beschwerdemanagement zeigt, später oft die treuesten.

Logistik: Auch im Zeitalter stetig wachsenden Online-Handels müssen die meisten (physikalischen) Güter auf den Weg zum Kunden gebracht werden – und häufig auch wieder zurück. In manchen Produktbereichen des Online-Handels, wie Damenmode oder Sportbekleidung, beträgt die Retourenquote häufig 40 Prozent und mehr. Dabei werden die Kunden immer anspruchsvoller. Ihnen genügt es nicht mehr, per Mail mitgeteilt zu bekommen, an welchem Tag die Ware angeliefert wird. Sie sollen vielmehr wissen, um welche Uhrzeit mit der Lieferung zu rechnen ist – und wehe, der Paketmann ist nicht zur vereinbarten Stunde da!

Gewiefte Anbieter gehen dazu über, ihren Kunden die Möglichkeit anzubieten, online Bestelltes selbst abzuholen, etwa im Supermarkt oder in einer Filiale des Unternehmens. Der nächste Schritt wird sein, ihm auch die Wahl zu lassen, wo er gegebenenfalls die Ware zurückbringen kann – ein logistischer Albtraum, der nur durch den Aufbau leistungsstarker vernetzter Warenströme zu bewältigen sein wird.

Andere Unternehmen entdecken inzwischen das neue Geschäftsmodell des „Crowd Shipping“: Kunden, die gerade von A nach B reisen, nehmen Pakete für andere Kunden mit und liefern sie direkt aus. Uber, das Unternehmen, das gerade dabei ist, den Taxifahrern dieser Erde das Leben schwer zu machen, experimentiert bereits in amerikanischen Großstädten mit solchen privaten Lieferdiensten – und macht sich damit nun auch Fahrradkuriere und Paketdienste zum Feind.

Fertigung: Die Digitale Transformation wird die Welt der produzierenden Wirtschaft ebenso nachhaltig revolutionieren, wie sie es in den vergangenen 20 Jahren in der Wissensarbeit getan hat. Mit dem Aufbau von „smarten“ Fabriken hofft die Industrie, Kosten zu senken und Reibungsverluste zu eliminieren. 3D-Drucker werden heute schon dazu verwendet, komplizierte Bauteile „aus einem Guss“ herzustellen, die früher oft mühsam aus unterschiedlichen Materialien zusammengesetzt werden mussten. Vernetzte Werkbänke können durch Einspielen einer neuen Software sekundenschnell umgerüstet werden. Bei der Bosch-Rexrodt AG in Lohr am Main werden viele verschiedene Hydraulikventile für Landmaschinen auf ein und derselben Maschine hergestellt, und es ist auch jederzeit möglich, sofort neue Varianten „einzuspielen“.

In der intelligenten Fabrik, Stichwort „Industrie 4.0“, verändert sich auch die Rolle des Fabrikarbeiters: Statt selbst Hand anzulegen, hat er oft nur noch eine Aufsichtsfunktion. Kollege Roboter verrichtet die schwere und unbequeme Arbeit besser und kostengünstiger. Dadurch wird aber auch die Konkurrenz von Mensch und Maschine angeheizt: Viele Jobs, die heute das Fingerspitzengefühl eines Fachmanns erfordern, werden künftig von Robotern und Fertigungsmaschinen erledigt. Ganze Berufszweige sind bedroht.

Doch andererseits bietet die zunehmende Automatisierung möglicherweise einen Ausweg aus dem Engpass, der in den nächsten Jahren gerade in Deutschland aufgrund des demographischen Wandels entstehen wird. VW klagt heute schon darüber, nicht mehr ausreichenden Ersatz für ausscheidende Facharbeiter der „Babyboomer-Generation“ finden zu können. Freilaufende „Robbies“ sollen dem Fachkräftemangel abhelfen. Doch dazu müssen die Roboter erst einmal aus ihren Käfigen entlassen werden. Die nächsten Innovationsschritte in der Fertigungstechnik zeichnen sich damit schon klar ab.

Digitale Transformation ist Chefsache – aber nicht nur!

Alle diese Entwicklungen erfordern ein Höchstmaß an Digitalisierung und Vernetzung. Darauf müssen sich Unternehmen heute konzentrieren, wenn sie die Digitale Transformation erfolgreich bewältigen wollen. Dass sich daraus neue Probleme, etwa im Bereich des Datenschutzes ergeben, ist klar: Wem gehören beispielsweise die Baupläne eines Ersatzteils, die ein Lieferant zum Kunden schickt, um sie auf seinem eigenen 3D-Drucker auszudrucken? Wie verhält es sich mit den Daten der Mitarbeiter, die als Berechtigungsnachweis beim Betrieb einer smarten Fabrik eingegeben werden müssen? Wer ist schuld, wenn ein sich selbst steuernder Roboter einen Mitarbeiter verletzt oder ein selbstfahrender Gabelstapler einen Unfall verursacht?

Die Fragen, die sich aus der Digitalen Transformation ergeben, tangieren also alle Bereiche eines Unternehmens, aber sie reichen auch weit darüber hinaus. Es sind gesellschaftliche Probleme zu lösen. Ängste, die bei Mitarbeitern und Kunden entstehen, müssen angesprochen werden. Digitale Transformation ist also ein ganzheitlicher Veränderungsprozess, und er erfordert ganzheitliches Denken. Damit ist Digitale Transformation eindeutig in der Chefetage angesiedelt, denn niemand sonst verkörpert das ganze Unternehmen so sehr wie derjenige, der dafür die Verantwortung trägt.


Dieser Text ist meinem neuen Buch entnommen, „Digitale Transformation„, das am 5. Oktober im Vahlen-Verlag erscheint.

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