Die schreckliche Wahrheit über das angeblich „beste Gesundheitssystem der Welt“

Ich werde oft gefragt von Deutschen oder Österreichern, warum so viele Leute in Amerika gerade an Covid-19 sterben, obwohl sie doch angeblich das beste Gesundheitssystem der Welt besitzen. Die meisten von ihnen sind überrascht, wenn ich ihnen sage, dass die Vereinigten Staaten im Gegenteil eines der schlechtesten Systeme hat. Das teuerste, ja. Die modernsten Krankenhäuser der Welt, ja. Aber diese Leuchtturm-Kliniken sind für 99% der Amerikaner unerschwinglich.

Bild 1: Bang for your bucks: Amerikaner zahlen mehr für ihre Gesundheit, bekommen aber weniger als alle anderen entwickelten Länder.

In den letzten drei Jahrzehnten ist das amerikanische Gesundheitssystem rapide den Bach runtergegangen. Heute ist der Gesundheitszustand der US-Bevölkerung schlechter als in allen anderen entwickelten Ländern. Erstens hat sich die Lebenserwartung, nachdem sie sich mehrere Jahrzehnte lang verbessert hatte, in den letzten Jahren für einige Bevölkerungsgruppen verschlechtert, was durch die Opioidkrise und die ernährungsbedingte Fettsuchtwelle noch verschärft wurde. Zweitens kommt hinzu, dass mit der Alterung der Babyboom-Bevölkerung mehr Menschen in den USA – und überall auf der Welt – mit altersbedingten Behinderungen und chronischen Krankheiten leben, was die Gesundheitssysteme unter Druck setzt. Tatsächlich liegt ds amerikanische Gesundsheitssystem, was das Preis-Liestungs-Verhältnis angeht, unter allen entwickelten Ländern weit abgeschlagen an letzter Stelle!

Eine Pop-up Dentalklinik in Wise County, Virginia

Eine rechtzeitige und zugängliche Gesundheitsversorgung könnte viele dieser Herausforderungen mildern, doch das US-Gesundheitssystem versagt, da es nicht in der Lage ist, allen, denen sie nutzen sollte, die erforderlichen Leistungen zuverlässig zu erbringen. Insbesondere der schlechte Zugang zur Primärversorgung hat zu unzureichender Prävention und Behandlung chronischer Krankheiten geführt. Verzögerten Diagnosen, unvollständiger Therapietreue, verschwenderischer Überbeanspruchung von Medikamenten und Technologien sowie Probleme mit der Koordination und Sicherheit im Gesundheitswesen sind heute die Norm. Arme Leute reisen oft Hunderte von Meilen, um so genannte „Pop-up Clinics“ in entlegenen Winkeln Amerikas wie den Appalachen zu besuchen, wo Zahnärzte freillig und kostenlos eine elementare Dentalversorgung anbieten.

18 der 50 US-Bundesstaaten haben in den vergangenen Jahren nichts getan, um den Zugang der Bürger einer Krankenversicherung zu erleichtern; drei haben den Zugang sogar durch aktive Maßnahmen erschwert.

Und es wird immer schlimmer: Mindestens 18 der 50 Bundesstaaten haben in den letzten Jahren keinerlei Anstalten gemacht, den Zugang zu einer Krankenversicherung zu erleichert. In den mehrheitlichen von den Republikanern beherrschten Staaten werden die Zuschüsse und Leistungen im Gegenteil immer weiter gekürzt. Durch die aktuelle Rekordarbeitslosigkeit im Zuge der Corona-Krise fallen weitere Millionen von Menschen aus den Systemen, weil sie arbeitslos geworden sind.

 

Bild 2: Zahl der vermeidbaren Todesfälle in den USA durch rechtzeitigen und professionelle medizinische Betreuung per 100.000 Einwohner.

Die Realität in Amerika sah schon vor der Corona-Krise so aus: Die USA haben unter allen vergleichbaren Ländern die höchste Rate an Todesfällen, die durch anständige Gesundheitsversorgung eigentlich vermeidbar wären (rate of deaths amenable to health care), wie ein Bericht feststellt, der vom Peterson Center on Healthcare und der Kaiser Family Foundation mitverfasst wurde und im Mai 2017 gefunden wurde. Dieser misst Todesfälle aus bestimmten Ursachen vor dem 75. Lebensjahr, die mit rechtzeitiger und wirksamer Behandlung potenziell unnötig wären.

Auch die so genannte Krankheitslast (disability adjusted life year rate per 100.000 population, oder DALY), die die Anzahl der durch Krankheit, Behinderung oder frühen Tod verlorenen Jahre misst, liegt in den USA weit über jedem vergleichbaren Land. Im Jahr 2015 lag sie bei 23.104. In Belgien, dem zweiten Land auf der Liste, lag sie bei 19.747.

Bild 3: Ausgaben für das Gesundheitswesewn als Prozent Wirtschaftsleistung

Und wie jeder weiß, zahlen die Amerikaner viel, viel mehr für ihr drittklassiges Gesundheitssystem als jedes andere entwickelte Land. Ein 2009 in den Annals of Internal Medicine veröffentlichter Artikel kommt zu dem Schluss, dass „die Vereinigten Staaten mehr als jedes andere Land für die medizinische Versorgung ausgeben“. Dies ist auf höhere Preise für die Leistungen selbst, höhere Kosten für die Verwaltung des Systems, eine stärkere Inanspruchnahme dieser Leistungen oder auf eine Kombination dieser Elemente zurückzuführen. Auf jeden Fall: Patienten in den USA erhalten von ihrem Gesundheitssystem ein schlechteres Angebot als alle anderen. Und das gilt auch für viele Länder der Dritten Welt!

Übrigens: 45.000 Todesfälle pro Jahr sind laut einer Studie der Harvard Medical School mit mangelnder Krankenversicherung der Patienten verbunden.


Mit dem Geld, dass Anna Harkness nach 1918 stiftete, wurden in den 20er und 30er Jahren auch Modellkrankenhäuser nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen gebaut – aber leider viel zu wenige von ihnen…

Übrigens: Viele der hier zitierten Daten stammen von The Commonwealth Fund, der seinen Ursprung in den philanthropischen Bemühungen der Familie Harkness hat. Stephen V. Harkness ließ sich im frühen 19ten Jahrhundert  in Ohio nieder und wurde ein erfolgreicher Geschäftsmann. Er investierte früh in die noch junge Standard Oil Company Mittel und wurde steinreich. Mach dem Tod ihres Mannes zog seine Ehefrau Anna Harkness mit ihrer Familie nach New York City, wo 1918 den Commonwealth Fund gründete mit dem Mandat, „etwas für das Wohl der Menschheit zu tun“.

Der Commonwealth-Fonds versucht, vielversprechende Praktiken zu ermittelt und Lösungen beiträgt, zu finden, die den Vereinigten Staaten zu einem leistungsfähigen Gesundheitssystem verhelfen könnten. Die Rolle des Fonds besteht darin, einen Fundus an wissenschaftlichern Erkenntnisse über zu aufzubauen, die zur Umgestaltung von Gesundheitsorganisationen führen können.

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