Dreckfuhler, verzeihung, Druckfehler sind menschlich!

Dreckfuhler – verzeihung, Druckfehler gehören zum Journalistenberuf dazu wie der Geruch von Druckerschwärze und viel zu viel viel zu starken Kaffees. Aber einen Druckfehler mitten auf der Seite eins, wie er heute irgendeinem armen Schwein aus der Redaktion unserer Lokalzeitung Salzburger Nachrichten gelungen ist, sowas sieht man dann doch eher seltenerweise.

Titel in London lieb Thieme verwehrt

stand da heute Morgen blau auf weiß (die SN ist eine moderne Zeitung und verwendet Vierfarbdruck für die Titelseite!). Mein erster Gedanke war, „wie lieb ist Thieme wirklich?“ Na ja, so ein kleines „b“, bzw. sein Fehlen kann in den Köpfen der Leser einiges auslösen.

In den nunmehr 50 Jahren, in denen ich mein Handwerk als Journalist betreibe, habe ich den steten Niedergang des Korrekturlesens in den Medien erlebt und beklagt. Als ich  meinen Dienst als kleiner Volontär in der Außenredaktion Buchen im Odenwald bei der Rhein-Neckar-Zeitung antrat, gab es in der Setzerei hinten im Eck einen großen, abgedunkelten Raum mit einer schalldichten Tür, hinter der so 20 bis 25 Menschen schweigend an langen Tischen saßen und unablässig die Zeitungsseiten lasen, die man ihnen aus der Akzidenz hereintrug, um auch die winzigsten Fehlerchen zu finden. „Korrektor“ oder „Korrektorin“ waren Ehrentitel, auf die sie mächtig stolz waren. Und Dreckfuhler, verzeihung, Druckfehler, waren bei uns ganz, ganz selten.

Nur einmal erschien die RNZ mit einem Text auf Seite eins, die vor Dreckfuhlern nur so strotzte. Das war der Morgen des 31sten Juli 1966, und am Vorabend hatte die deutsche Fußballnationalmannschaft spätabends durch das berühmt-berüchtigte „Wembley-Tor“, das keines war, die WM verloren. Der Sportreporter diktierte die letzten  Zeilen seines Berichts direkt in die Linotype-Satzmaschine, von wo sie innerhalb von Minuten auf die Rotationsmaschine gespannt wurde. Gelesen wurde da gar nichts mehr, die Zeitung musste raus!

Was wir alle erst am nächsten Morgen beim Aufschlagen der ersten Exemplare der Zeitung merkten, war dass der Linotyp-Setzer, der offenbar ganz besonders enttäuscht vom Ausgang des Spiels war, immer wieder eine Bleizeile eingefügt hatte, auf der stand: „alles scheiße – alles scheiße – alles scheiße“.

Wir konnten den Text bis zur zweiten, die Landausgabe, noch bereinigen, und mehr als ein paar Tausend Exemplare sind wohl nie rausgegangen. Und ich weiß auch nicht, ob es Konsequenzen für den Setzer gab – ich hoffe nicht, denn im Grunde hatte ich ja vollstes Verständnis.

Na ja, heute in den Zeiten von Word Rechtschreibkorrektur wäre das wahrscheinlich nicht mehr möglich. Dafür produziert Kollege Word manchmal die seltsamsten Stilblüten, und er sieht auch nicht alles.

So erschien vor ein paar Jahren die renommierte New York Times mit einer Headline ausgerechnet links oben auf Seite eins die lautete: „Level of Unrest In Brazil Stuns Even Protesers.“ Ob damit Prothesenträger gemeint sein konnten?

Und manchmal dauert es lange, bis so ein Dreckfuhler, verzeihung, Druckfehler – vielleicht sollte ich jetzt mit dem Quatsch aufhören und „Typo“ sagen – überhaupt entdeckt wird. Nämliche New York Time hatte immerhin über 100 Jahre lang einen solchen Fehler auf der Titelseite, und zwar jeden Tag! Ganz links oben steht ein Kasten mit dem Motto der Times, „All the News That’s Fit to Print“, und darunter steht die laufende Nummer der Ausgabe. Da machte ein unbekannter Kleiner Schriftsetzer abends einen winzigen Rechenfehler, Die Ausgabe vom 6. Februar 1898 war die Nummer 14.499. Er zählte eins dazu – und bekam 15.000. Das klingt wie die Art von Additionsfehler, die mir in der Eile passieren könnte. Jedenfalls fiel der Fehler niemandem auf; die Times waren 101 Jahre lang ihrer Zeit um 500 Ausgaben voraus – und zwar bis Ende 1999.

Nun ist es guter Journalistenbrauch, einen Fehler, wenn man ihn entdeckt hat, im Blatt zu korrigieren. Und so veröffentlichten die New York Times am ersten Tag des Jahres 2000 diese erläuternde Notiz:

Der Fehler kam kürzlich ans Licht, als Aaron Donovan, ein Nachrichtenassistent, neugierig auf die Nummerierung wurde, die er abends bei der Arbeit am Nachrichtenschalter aktualisiert. Er wunderte sich über das Potenzial für sich selbst fortpflanzende Fehler. Mit Hilfe eines Tabellenkalkulationsprogramms berechnete er die Anzahl der Tage seit der Gründung der Times am 18. September 1851.

Aus den Archiven der Zeitung erfuhr er, dass die Times in den ersten 500 Wochen ihrer Existenz keine Sonntagsausgabe veröffentlichte. Dann wurde die Sonntagsausgabe 2.296 Wochen lang, von April 1861 bis April 1905, als eine Erweiterung der Samstagszeitung behandelt und mit ihrer Nummer versehen. In den ersten Tagen übersprang die Zeitung die Veröffentlichung an einigen Feiertagen. Während eines Streiks im Jahr 1978 wurden 88 Tage lang keine Ausgaben veröffentlicht. (Während fünf früherer Arbeitskonflikte wurden unveröffentlichte Ausgaben mit Nummern versehen, manchmal weil später Nachholausgaben für die Archive produziert wurden).

Durch das Scannen von Büchern mit historischen Titelseiten und Mikrofilmrollen konnte Donovan schließlich das Datum der Lücke von 500 Ausgaben eingrenzen.

Ob die Kollegen von den Salzburger Nachrichten morgen auch so souverän reagieren werden? Aber vielleicht haben sie den Fehler ja noch gar nicht bemerkt. Irgendwann in 100 Jahren werden sie uns und Herrn Thieme vielleicht ganz verschämt ein kleines „b“ nachliefern.

PS: Für all die großen und kleinen Dreckfuhler, verzeihung, Druckfehler, in diesem Text und überhaupt in den insgesamt 1.148 Blogposts, die seit dem 4. Januar 1995 hier im Cole-Blog erschienen sind, entschuldige ich mich schon mal im voraus im Namen von Microsoft……

Dieser Beitrag wurde unter Quo vadis Qualitätsjournalismus? abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.