Trump und das Marienwunder von Washington

Um zu verstehen, was in der Präsidentschaftswahl Amerikas gerade abgeht, muss man sich zuerst einen ganz anderen amerikanischen Kontaktsport genauer anschauen, nämlich American Football. Dort gibt es die segensreiche Einrichtung des „Hail Mary Pass“. Das könnte man zwar als „Ave Maria Pass“ übersetzen, fängt aber damit nicht den unbeschreiblichen Nervenkitzel und den geradezu orgiastischen Gefühlsausbruch ein, den dieser äußerst selten erfolgreich ausgeführte Spielzug mit sich bringt. Er wird dann versucht, wenn die eigne Mannschaft eigentlich schon verloren hat und nur noch wenige Sekunden auf der Spieluhr verbleiben. Der Quarterback geht meist ein paar Schritte zurück, um sich Raum zum Ausholen zu schaffen, schmeißt den Ball dann mit der ganzen Kraft seiner Verzweiflung in Richtung Torauslinie – und fängt an zu beten, dass irgendeiner seiner Mannschaftskameraden gerade dort sein und ihn auffangen wird. Der Ball bleibt in der Regel so lange in der Luft, dass der Quarterback, sollte er ein gläubiger Katholik sein, genügend Zeit hätte, um ein paar schnelle Ave Marias zu beten, bevor das Stadium hoffentlich im einem ekstatischen Beifallsrausch ausbricht. Oder sich alle mit bedröppelter Miene Richtung Ausgang schleichen.

Gestern haben sich 17 Republikanische Staatsanwälte, einer Klage ihres Kollegen aus Texas vor dem Supreme Court, dem obersten Gericht des Landes, angeschlossen. Sie fordern darin, das Wahlergebnis in den vier so genannten „battleground states“ (also den Bundesstaaten, in denen es am 6. November besonders knapp herging zwischen Trump und Biden) komplett zu annullieren. Durch die Entscheidungen der jeweiligen Landtage in Georgia, Michigan, Pennsylvania und Wisconsin, das Briefwahlrecht zu lockern, seien die Wähler in Texas benachteiligt worden, wo es strengere Regel gibt. Das Ergebnis der Abstimmung sei deshalb ungültig, und es wäre die Aufgabe der Abgeordneten in den Landesparlamenten, Wahlmänner zu bestimmen, die ihren Staat im Electoral College zu vertreten haben. Da die Parlamente in den vier umstrittenen Staaten mehrheitlich Republikanisch besetzt sind, die Bevölkerung aber mehrheitlich für Biden gestimmt hat, würde eine solche Entscheidung des Bundesgerichts, so sie denn fiele, aller Wahrscheinlichkeit nach bedeuten, dass Trump wiedergewählt würde.

Die Argumentation ist nach Meinung der meisten Verfassungsexperten völlig abstrus (ein Juraprofessor nannte sie „eine PR-Meldung, die so tut, als sei sie eine Klageschrift“). Es ist sehr, sehr unwahrscheinlich, dass der Supreme Court den Ausgang der Wahl ins Gegenteil verkehren und Volkes Stimme mundtot machen wird.  Aber heh, Trump hat es ja gerade geschafft, drei ihm gewogene konservative Robenträger auf die oberste Richterbank zu hieven, und vielleicht glauben sie, dass sie ihm einen Gefallen schulden?

Andererseits ist das Rennen um die US-Präsidentschaft ja eigentlich schon gelaufen. Vorgestern war „Safe Harbor Day“, also der Tag, an dem in allen Bundesstaaten das Wahlergebnis offiziell verkündet und zertifiziert werden muss. Eigentlich geht ab dem Augenblick gar nichts mehr: rien ne va plus!

Es kann also nur noch ein Wunder helfen. Und ich dachte, wir alle könnten uns die Zeit des letzten Wartens auf das Ende dieser Farce damit vertreiben, dass wir uns auf YouTube die „10 Besten Hail Mary Pässe aller Zeiten“ anschauen. Viel Vergnügen!

 

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