Von der Kunst, einen richtig guten Verriss zu schreiben

Wonderwoman mit der Klistierspritze

Eine böse Kritik zu schreiben ist gar nicht so einfach. Bislang habe ich jedenfalls immer den Komponisten Max Reger für den Großmeister dieser Gattung gehalten, der einem bösen Feuilletonschreiberling mal die Zeilen widmete: „Ich sitze im kleinsten Raum des Hauses. Ihre Kritik habe ich vor mir. Bald werde ich sie hinter mir haben…“. Aber jetzt habe ich etwas gelesen, dass alles Bisherige in den Schatten stellt.

Es stammt von Jon Caramanica, einem Popmusikkritiker der New York Times, und der hat sich die israelisch-amerikanischen Schauspielerin Gal Gadot vorgenommen. Die sitzt gerade wegen Corona in ihrem New Yorker Appartement eine Selbstquarantäne ab, und es ist ihr deshalb wohl ziemlich fad. Sie hatte jedenfalls die Idee, möglichst viele Kolleginnen und Kollegen dazu zu bringen, gemeinsam eine neue Cover-Version von John Lennons unsterblichem Friedens-Klassiker „Imagine“ einzu-, na ja, „singen“ sollte das wohl heißen.

Jeder bekam also eine Zeile zugewiesen, das Ergebnis sind zwei offenbar endlos lange Minuten auf Instagram. Die Tradition des Mulitpromi-Songs ist ja lang und nicht immer sehr erfolgreich. Aber die gute Gal, die 2017 als Wonderwoman zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte, muss wohl eine Art negativem Hammerhit gelandet haben. Und der gute Jon hat die passenden Worte gefunden, um ihn zu beschreiben.

„Als sie die Eröffnungszeile singt – ‚Imagine there’s no heaven‘ – grinst sie in die Kamera, als wollte sie dir gleich die Tasche ausrauben. Oder wie eine freudvoll masochistische Krankenschwester, die dabei ist, dir ein besonders schreckliche Klistierspritze zu setzen.“ Puff – das sitzt!

Kristen Wiig, die ebenfalls bei der Wunderdame mitspielt, sieht in ihrem breitkrempigen Hut angeblich aus, als sei sie sauer, weil sie gerade beim Spazierengehen angepöbelt worden ist, meint Jon. Auch nicht sehr schmeichelhaft.

Wer aber sein Fett ganz besonders böse weg kriegt ist Jamie Dornan, der 1982 geborene Belfaster, der unter anderem in Fifty Shades of GreyGefährliche Liebe und in dem unbesternten Remake von Robin Hood aus dem Jahr 2018 mitwirkte. Der sei, so Jon, selber gar nicht auf Instagram und weiß der „deshalb vermutlich nicht, dass er dort aussieht, als würde er widerwillig eine Geiselvideo drehen und sich nicht entscheiden können, ob er überhaupt befreit werden will.“ Dornan ist übrigens mit der Zeile dran ‚No Hell below us‘, die er nach Ansicht von Jon nicht so sehr singt wie ausspuckt.

Von allen Mitmachern hier, so Jon, scheint nur Chris O’Dowd – noch so’n irischer Schauspieler-Ersatz, der aber wenigstens ganz gute Bücher schreibt – verstanden zu haben, „welcher Horror sich dort am Horizont auftut.“ Seine Sorgenfalten seien tief, seine Augenbrauen offenbar vom Wunsch beseelt, aus seinem Gesicht herauszuhüpfen, und seine linke Gesichtshälfte verdrehe sich gegen Ende seiner Zeile (‚I wonder of you can‘) so, als ob es um Vergebung flehen wolle.

Tja, lieber Max Reger: In Jon Caramanica haben Sie, zumindest verrissmäßig, Ihren Meister gefunden!

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