„Ein Mensch isst gerne Kuttelfleck“ oder: chacun à son goût!

Nicht jedem hat mein Post über Smalahove (siehe nächsten Beitrag) gefallen, den gepökelten und geräucherten Schafskopf, der in Norwegen eine Art Nationalgericht ist und für Fremde eine kulinarische Mutprobe. Bernhard Jodeleit zum Beispiel fand es „ekelhaft, was du hier veröffentlichst. Köpfe von toten Tieren, anderweitige Provokationen.“

Wikipedia bezeichnet einen Nahrungstabu als „das Phänomen, dass bestimmte Tiere, Pflanzen oder Pilze, die prinzipiell essbar sind, von einer bestimmbaren sozialen Gruppe oder in einem Kulturraum mit einem Tabu belegt und daher nicht verzehrt werden. Es gibt kein Nahrungstabu, das universelle Gültigkeit besitzt.“

Die Norweger kennen keine solchen Tabus. Und sie sind beileibe nicht die einzigen, die gerne Tierköpfe essen. Als Schweinekopf (auch Schweinskopf) bezeichnet man den bearbeiteten Kopf des Hausschweins, bei dem Hirn, Augen, Zunge und Schlund entfernt sind. Früher wurde er häufig gebraten als Schaustück bei kalten Buffets verwendet oder gekocht und entbeint mit Meerrettich serviert. Heute ist er in Deutschland im Ganzen bzw. unverarbeitet nur noch selten im Handel erhältlich.

Überhaupt kam früher viel mehr in die Küche – Herz, Lunge, Milz, Leber, Nieren, Magen (Kutteln, Kaldauen, Fleck), aber auch Zwerchfell (Saumfleisch), Maulfleisch, Zunge oder Schwanz. Nehmen wir das Rind: Es besteht aus über 30 essbaren Fleischteilen. Aber die wenigsten davon werden zum Verkauf angeboten. Weil sie nicht nachgefragt werden. Oder sogar Ekel auslösen.

In Frankreich oder Italien wird öfter mit Innereien gekocht. In Süddeutschland werden etwa Saumagen (Pfalz) oder Leberle mit Brägele (Südbaden) geschätzt. Die Schwaben schwören auf ihre Kutteln in Trollinger und saure Nierle mit Bratkartoffla. Und jeden Dienstag treffe ich mich hier in St. Michael im Lungau mit meinem Freund und Nachbarn Franz Kirchberger, um in Prodingers Wirtshaus Rahmbeuschl zu essen – Herz und Lunge vom Kalb mit etwas Thymian, Lauch, ein paar Kapern und Sauerrahm. Leider müssen wir wegen des Lockdowns gerade pausieren, aber sobald die Covid-Krise vorbei ist, werden wir uns die Eingeweide wieder bei Leo schmecken lassen!

Eugen Roth hat es treffend gedichtet: „Ein Mensch isst gerne Kuttelfleck / Ein andrer graust sich vor dem Dreck: / Die ganze Welt, das ist ihr Witz, / ist Frage nur des Appetits.“

Neben den Norwegern sind die Briten wohl die Welt-, oder zumindest die Europameister im Essen von Innereien. Die Schoten lieben ihre Haggis, der aus dem Magen eines Schafes besteht, paunch genannt, der mit Herz, Leber, Lunge und Nierenfett vom Schaf, Zwiebeln und Hafermehl gefüllt und mit Pfeffer scharf gewürzt wird. Das Hafermehl verleiht ihm eine etwas schwerere Konsistenz, irgendwo zwischen Hartwurst und einer Kanonenkugel.

Als junger Food-Journalist habe ich mal für den deutschen Playboy einen vielbeachteten Beitrag geschrieben mit dem Titel „Wie man die englische Küche überlebt.“ Das war natürlich grob übertrieben: Ich habe in England sehr oft sehr gut gegessen, und dabei handelte es sich auffallend oft um etwas mit Innereien. Da sie billiger waren, dienten sie früher vermutlich dazu, die Tische der einfachsten Leute zu schmücken (die Braten und Filetstücke waren den Reichen vorbehalten).

Wenn Sie wirklich englisches Essen vom Feinsten erleben wollen, gehen Sie nach dem  Lockdown ins St. John Restaurant in Smithfield, direkt um die Ecke vom ehemaligen Smithfield Market, dem größten Fleischmarkt Londons aus dem 19. Jahrhundert.

Hier brüstet sich Küchenchef Fergus Henderson damit, dass er alles Schweins bis auf das Grunzen verwendet (everything but the oink“). Hier erlebte ich zum ersten Mal chitterlings – gründlich gesäuberte Schwewinsdärme, die auf der Herdplatte knusprig gebraten werden und die ein bisschen an Chips erinnern. Oder probieren Sie gespaltene Markknochen, gebraten und mit ein wenig Petersilie bestreut. Aber für mich ist der absolute Höhepunkt der englischen Küche erreicht, wenn man die Kruste eines gut zubereiteten Steak- and Kidney Pie durchsticht und das darunterliegende Ragout mit einem großzügigen Glas englischem Stout teilt – die reinste Wonne!

 

PS: Habe ich eigentlich erwähnt, dass ich seit vielen Jahren an Gicht leide und sowas überhaupt nicht essen darf, wegen der Purine und so? Aber zum Glück hat der Herrgott ein Mittel namens Allopurinol geschaffen, und ich nehme jeden Tag eine halbe Tablette nach dem Aufstehen – und esse was und wieviel ich will! Schließlich sind im Französischen die Begriffe für „Geschmack“ (goût) und Gicht (goutte) ja eng verwandt.

Fügt man also nur zwei kleine Buchstaben dran, wird aus dem wunderbaren französischen Spruch: „Jedem seine Gicht…“

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