Sing um dein Leben, Vogel!

Das darf der Herrgott bloß nicht sehen!

Auf Quora will einer wissen, warum Süditaliener und Sizilianer Schwalben fangen und verspeisen, wodurch sie vom Aussterben bedroht sind. Ich habe ihm wie folgt geantwortet:

Singvögel waren früher ein Grundnahrungsmittel, besonders für arme Leute nicht nur in Süditalien. Auf Zypern gibt es ein traditionelles Gericht namens ambelopoulia („Vögel des Weinbergs“), das mit Singvögeln zubereitet wird, die meistens von Kindern in speziellen Netzen oder mit klebrigen „Kalkstäbchen“ gefangen werden: Die Vögel landen darauf und können nicht mehr entkommen. Aber sie zierten auch die Tische der Oberschicht, wie das englische Kinderlied Sing a Song of Sixpence („Four and twenty blackbirds baked in a pie“) bezeugt.

Tatsächlich ist das Fangen von Singvögeln in den meisten europäischen Ländern, einschließlich Italien und Zypern, verboten.

In Frankreich gibt es unter angeblichen Feinschmeckern nach wie vor den Brauch des Verzehrs von ortolan (Emberiza hortulana), zu deutsch Fettammer (siehe Bild), obwohl diese Praxis strafbar ist. Den Vögeln werden die Augen ausgestochen und sie werden zwei Wochen lang in Gefangenschaft gehalten, wo sie rund um die Uhr fressen, da sie ohne Augenlicht nicht zwischen Tag und Nacht unterscheiden können. Sie erreichen oft das Dreifache ihres natürlichen Gewichts, bevor sie in Armagnac ertränkt, dann in Fett gekocht und im Ganzen gegessen werden, mit Schnabel, Knochen und allem. Sogar Franzosen scheinen aber ein Gewissen zu haben: Es ist üblich, beim Essen von Ortolan den Kopf mit einer Serviette zu bedecken, damit Gott nicht sehen kann, was man tut…

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Der Kongo liegt am Mississippi

Das Elaine Massacre Memorial wurde am 29sten September 2019 eingeweiht, 100 Jahre nach dem schlimmsten Akt von rassistischer Gewalt gegen Schwarze in den USA.

Die Geschichte meiner Heimat, Amerikas, ist bis heute von grausamen Fällen von rassistischer Gewalt geprägt. Eine der schlimmsten davon spielte sich 1919 in Elaine ab, einer kleinen Stadt am Mississippi.

Elaine liegt im Phillips County im Bundesstaat Arkansas an einer der vielen Biegungen des Mississippi, etwa 95 Meilen südwestlich von Memphis – eine Region, die im Volksmund „das Delta“ genannt wird und die über Jahrhunderte durch Gewalt und Unterdrückung geprägt gewesen ist. Ein Afroamerikaner, William Pickens, beschrieb die Region einmal als „den amerikanischen Kongo“.

Doch der Erste Weltkrieg brachte auch im Delta Veränderungen mit sich, ebenso wie in den urbanen Zentren des Nordens. Männer und Frauen wanderten in die Fabriken des Nordens aus oder gingen zum Militär, was zu einem Arbeitskräftemangel auf den Baumwollfeldern und in den Holzfabriken führte. Die Frauen erhielten von den Männern im Militär Schecks für die häuslichen Zuteilungen, wodurch sie Bargeld erhielten, das sich der Kontrolle der Pflanzer entzog. Folglich mussten die Plantagenbesitzer und Holzfäller höhere Löhne zahlen, um die Baumwolle pflücken oder das Holz fällen zu lassen. Noch schlimmer aus Sicht der Pflanzer war, dass die gefürchteten radikalen Industrial Workers of the World (Wobblies) Gerüchten zufolge auf den Feldern und in den Fabriken aktiv wurden.

Am späten Abend des 30. September versammelten sich schwarze Farmpächterfamilien in der Hoop Spur Kirche in der Nähe von Elaine. Sie kamen, um über die Mitgliedschaft in einer Organisation namens „Progressive Farmers and Household Union“ zu diskutieren, die ihnen helfen sollte, einen fairen Preis für die geerntete Baumwolle zu erhalten und Land zu kaufen.

Um 23 Uhr schoss eine Gruppe von weißen Männern in die Kirche. Schwarze Wachen erwiderten das Feuer und töteten einen weißen Vertreter der Missouri Pacific Railroad. Die Nachricht von der Schießerei erreichte schnell die Kreisstadt Helena. Bald verbreitete sich die Nachricht, dass Schwarze Weiße in Elaine angriffen. Am frühen Morgen des 1. Oktober schickte der Sheriff weiße Veteranen des American-Legion-Postens, um zu unterdrücken, was er für einen Aufstand hielt. Im Laufe des Tages kamen mindestens 1.000 weiße Bürgerwehrler aus dem ganzen Bundesstaat und aus Mississippi, um sich den Plantagenbesitzern, ihren Managern, Sheriffs, Deputies und den Veteranen anzuschließen, um das niederzuschlagen, was sie einen Aufstand nannten. Am Ende des Tages waren unzählige schwarze Frauen, Männer und Kinder abgeschlachtet worden. Weiterlesen

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Ein Buch, das mehr ist als die Summe seiner Teile

Ossi Urchs (* 16. August 1954 +25. September 2014)

Das ist wieder so eine Frage auf Quora gewesen, die unter die Haut geht: „Findest Du, dass das Mitschreiben in einem Buch das Buch zerstört, oder ist das für Dich in Ordnung? Und warum?

Ich habe vor ein paar Jahren mit meinem besten Freunde ein Buch geschrieben. Er hieß Ossi Urchs und war der „Internet-Guru“ Deutschlands, und mich bezeichnete die „Süddeutsche“ einmal als den „Wanderprediger des deutschen Internets“. Wir kannten uns damals schon über 20 Jahren und waren enge Freunde geworden. Wir schrieben beide lange Jahre erfolgreich für die deutsche Ausgabe des „Playboy-Magazins“, und wir waren inzwischen, jeder für sich Autoren von mehreren Büchern über digitale Themen (bei mir sind es mittlerweile ein rundes Dutzend!).

Vor allem aber haben wir viel miteinander geredet. Jedes Jahr am Vorabend der Cebit trafen wir uns in Hannover im wunderbaren Ristorante Roma in der Goethestrasse, aßen köstliche italienische Spezialitäten, die von der Schwester des Besitzers nach den Rezepten ihrer Mutter zubereitet wurden, und tranken viel zu viel köstlichen italienischen Wein. Dabei ließen wir das vergangene Internet-Jahr Revue passieren. Und so ganz nebenbei haben wir alle anstehenden Probleme dieses noch jungen und hoffnungsfrohen Zukunftsmediums, die sich im Laufe des Jahres aufgestaut hatten, im Handumdrehen gelöst.

Das Problem war: Weil wir so viel Wein getrunken hatten, konnten wir uns meistens nicht mehr an die Lösungen erinnern…

Und deshalb haben wir uns jedes Jahr wieder vorgenommen, ein gemeinsames Buch zu schreiben, in der wir unser gesammeltes Wissen und unsere Erfahrungen aufarbeiten und der Welt als unser gemeinsames Erbe hinterlassen würden. Weiterlesen

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Die Deutschen und ihr Gruß

Jemand hat neulich auf Quora folgende Frage gestellt: Seit wann gab es den Hitlergruß bei der NSDAP und wer hat ihn eingeführt? Das ist eines dieser Fragen, die sich bei mir im Hinterkopf einnisten und keine Ruhe geben. Außerdem lebe ich unweit von Braunau am Inn, wo das Unglück bekanntlich seinen Lauf nahm. Also habe ich meine Hausaufgaben gemacht, und das hier ist dabei herausgekommen.

Der gesprochene Gruß „Heil“ wurde in der pan-deutschen Bewegung um 1900 populär. Er wurde von den Anhängern von Georg Ritter von Schönerer verwendet, dem Vorsitzenden der österreichischen Alldeutschen Partei, der sich als Führer der österreichischen Deutschen betrachtete und den der Historiker Carl E. Schorske als „der stärkste und konsequenteste Antisemit, den Österreich hervorgebracht hat“, bezeichnete – lange bevor Hitler kam. Weiterlesen

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Geht Europa in Cybersecurity voran?

Das Ausmaß der Cybersicherheitslücken in Europa ist erschreckend. Allein im Jahr 2019 gab es fast 450 Cybersecurity-Vorfälle, die kritische Infrastrukturen wie Finanz- und Energieunternehmen in Europa betrafen.

Ransomware-Angriffe sind inzwischen eine ausgesprochene Wachstumsbranche: Weltweit wurden 2019 mehr als 10 Milliarden Euro an Erpresser ausgezahlt. Die Gesamtkosten der Cyberkriminalität weltweit werden für das Jahr 2020 auf 5,5 Billionen Euro geschätzt.

Die Pandemie hat die Schwachstellen nur vergrößert und Hackern neue Dimensionen eröffnet. Mehr als die Hälfte aller Organisationen des Gesundheitswesens waren 2020 von einem Angriff betroffen, und im Dezember 2020 wurde die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) gehackt, wobei die Angreifer auf Informationen über den Zulassungsprozess für verschiedene Covid-19-Impfstoffe zugriffen und später veröffentlichten, offenbar in dem Versuch, Fehlinformationen zu verbreiten.

Das Schlimmste ist: europäische Unternehmen sind offenbar weit weniger gut vorbereitet als ihre Kollegen in Asien und Amerika. Zwei Drittel der KMUs in Europa gelten als absolute Novizen, wenn es um Cybersicherheit geht, so die Europäischen Kommission.

Außerdem leidet Europa an einem ausgeprägten „Brain Drain“: Cybersecurity-Fachkräften wandern in Scharen aus, bevorzugt in die USA. Die Folge: Im Jahr 2020 blieben schätzungsweise 291.000 Cybersecurity-Positionen in der EU unbesetzt.

Fazit: Unternehmen in Europa hinken in Sachen Cybersicherheit hinterher. Typische Schwachstellen sind Unternehmen, die alte Software ohne Updates verwenden. In einem Drittel von ihnen läuft noch mindestens ein PC mit Windows XP – obwohl der Support von Microsoft 2014 auslief. Weiterlesen

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Germany’s National Delusion – a Warning Lesson

My favorite question on Quora today was: “Did German identity exist among the average person in the areas that would become modern Germany before the age of nationalism?

German nationalism first appeared in 1770 with the German movement, which primarily opposed the political-cultural hegemony of France. The goal of the German movement was to eliminate German petty statehood and bring about the establishment of a centralized, unitary German state.

German early nationalism was generally considered to be literary-philosophical-pedagogical and was influenced primarily by such individuals as Friedrich Gottfried Klopstock (1724-1803), Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781), Johann Gottfried Herder (1744-1803), and by the young Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832). That is, its bearers were predominantly the German educated elite. Early nationalism is therefore sometimes referred to as „elite nationalism.“ Weiterlesen

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Der Big Bang fand in der Nordsee statt!

Auf Quora fragt einer: „Was wollten die Briten im Zweiten Weltkrieg durch einen massiven Luftangriff auf der Insel Helgoland erreichen? Angeblich seien hier 1947 bei der bis heute größten nichtnuklearen Sprengung der Geschichte 285 Menschen ums Leben gekommen.

Die Geschichte kenne ich anders. Laut einem Bericht des NDR vom 18.04.2017 sind die 2.500 Bewohner Helgolands bereits 1945 alle evakuiert worden. Gerüchte über die Pläne der Briten, die Insel zu zerstören, seien nach dem Krieg in Umlauf gekommen und führten u.a. dazu, dass einige Helgoländer einen Brief an den Papst geschrieben haben, in dem sie ihn baten, sich für den Erhalt der Insel einzusetzen.

Die Briten schafften insgesamt 6.700 Tonnen Granaten, Raketen und Sprengstoff auf die Insel, wo sie in unterirdischen Bunkern und Tunneln lagerten. Deutsche Kriegsgefangene mussten helfen, Munition und Sprengstoff zu entladen, den die Briten zuvor vom Festland herbeigeschafft hatten. Das Ziel der gigantischen Sprengung, dem „Big Bang“ von Helgoland, sei es gewesen, wichtige Munition und Militäranlagen auf Helgoland vernichten.

Das Gerücht, die Briten hätten die Insel gänzlich vernichten wollen, stimmt laut NDR nicht. Einen solchen Befehl habe es nie gegeben. In einem Schreiben der Briten an deutsche Regierungsstellen vom Dezember 1946 soll es heißen: „Eine Sprengung der Insel Helgoland ist nicht beabsichtigt, es ist jedoch unbedingt notwendig, die Insel zu entmilitarisieren, und da hierbei einige 22 Kilometer Tunnel und Galerien zerstört oder durch Sprengmaterial blockiert werden dürften, wird unweigerlich ein großer Teil der Inseloberfläche vernichtet werden.“

Allerdings sind an der Südspitze der Insel etwa 70.000 Quadratmeter im Meer versunken. Dort hatten sich Hitlers gigantischer U-Boot-Bunker befunden. Die berühmte Felsnadel Lange Anna hingegen steht noch, auch die Hafenanlagen und Küstenschutzmauern sind noch intakt.

Auch nach dem „Big Bang“ durften die Helgoländer nicht zurück auf ihre Insel, die statt dessen als Bombenabwurfplatz von den Briten benützt wurde. Im Dezember 1949 fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung einstimmig dazu auf, bei den Alliierten eine Rückkehr der Helgoländer auf ihre Insel zu erwirken. Doch die Bemühungen bleiben erfolglos.

Am 20. Dezember 1950 besetzten zwei Heidelberger Studenten, Georg von Hatzfeld und Rene Leudesdorff, symbolisch und hissten die Europaflagge, um gegen Krieg und Wiederbewaffnung zu protestieren. Das Bild führte zu einem internationalen Presserummel, und der „Spiegel“ schrieb: Helgoland müsse den Deutschen zurückgegeben werden.

Der Witz ist nur: Helgoland war im Laufe ihrer Geschichte zwar jahrhundertelang Seefestung, Seeräubernest, bedeutender Stützpunkt der Seelotsen und zu Beginn des 18. Jahrhunderts sogar größtes Warenumschlagszentrum Europas, aber nur selten deutsches Hoheitsgebiet.

Ab 800 nach Christus taucht in Schriften erstmals der Name „Heiligland“ auf, unter dem die Insel zunächst bekannt wird. Im Mittelalter war Helgoland etwa viermal so groß wie heute. Schriften ab dem 13. Jahrhundert weisen auf den Einfluss von Dänen und Piraten hin. Mitte des 14. Jahrhunderts beschwert sich eine Hamburger Urkunde über einen dänischen Ritter, der Helgoland zu einem Seeräubernest gemacht habe. 1401 kommt es nahe der Insel Helgoland zur einer großen Seeschlacht, in der die Hamburger auch den berüchtigten Piraten Klaus Störtebeker fassten. ^7^4 wurde Helgoland offiziell dänisch, aber Sturmfluten trugen immer mehr Teile der Insel ab, 1720 beispielsweise die Landzunge zwischen dem Buntsandsteinfelsen der Hauptinsel und der Düne.

1807 eroberen die Engländer Helgoland. Sie wollten von hier aus die Kontinentalsperre unterlaufen, mit der Napoleon den Handel mit England unterbinden wollte. Helgoland wurde in der Folge zum Schmugglerparadies – Insulaner, englische Besatzer und Schmuggler erleben goldene Zeiten. Doch schon 1814, nach der Niederlage Napoleons, folgt der wirtschaftliche Abstieg.

1826 wird auf Helgoland ein Seebad gegründet, und schon bald preisen Künstler und Touristen die Schönheit der Insel. Heinrich Hoffmann von Fallersleben lässt sich hier zeitweilen nieder und schreibt hier das Deutschlandlied. Der Dichter Heinrich Heine, der Helgoland sehr liebte, schrieb hier den oftzitierten Satz „das Meer riecht wie Kuchen“.

Am 10. August 1890 nahm Kaiser Wilhelm II. Helgoland für das Deutsche Reich in Besitz. Vor dem Hintergrund des sogenannten „Helgoland-Sansibar-Vertrages“ wurde die bis dahin britische Insel dem preußischen Staat einverleibt. Dafür verzichtete das Deutsche Reich auf seine Ansprüche auf das Sultanat Sansibar vor der Küste Tansanias.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges mussten die Helgoländer die Insel komplett räumen, und der Felsen wurde zu einer Seefestung ausgebaut. Als die Insulaner nach Kriegsende wieder zurückkehren durften, lag die Felseninsel in Schutt und Asche.

1937 entwickelt das Oberkommando der Kriegsmarine ein umfassendes Hafenkonzept, die sogenannte „Hummerschere“. Weiträumige Bunkeranlagen entstehen. Der Hafen wird für den Verkehr großer Kriegsschiffe und U-Boote umgebaut.

Am 18. April 1945 versuchte eine Gruppe von deutschen Widerständlern, die Insel kampflos an die Briten zu übergeben – vergeblich: Am gleichen Tag flogen 1000 allliierte Bomber den vernichtenden Angriff auf die Insel, bei der tatsächlich 285 Insulander ihr Leben verloren. Zwei Jahre später verlief der Big Bang allerdings unblutig.

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Ab in die Gosse!

Jahrzehntelang haben populäre Geschichtenerzähler und Filmmacher das Märchen verbreitet, die Mehrheit der Amerikaner habe die Prohibition nie unterstützt. Das Experiment der Abschaffung von Alkohol im ganzen Land sei von einer „radikalen Minderheit“ bibeltreuer Landeier ausgedacht wurde, die demit versuchten, ihre puritanische Moral vor allem den Großstädtern aufzuzwingen.

Aber diese Darstellung der Prohibition als eine reaktionäre, kulturell-religiöse Bewegung läßt sich im Licht der Faktenlage nicht halten. Wie hätte eine solche „ultrakonservative“ Prohibitionsbewegung ihren größten Sieg mitten in der Progressiven Ära Americas erringen können? Wie konnten Organisationen wie die Woman’s Christian Temperance Union sich neben der reaktionären Prohibition für progressive Themen wie die Ausweitung des Wahlrechts und der Bürger- und Arbeitsrechte eintreten?

Wenn es beim Sieg der Prohibition nur um eine Art christlicher Taliban ging, warum gab es dann keine gegenläufige evangelikale Erweckung zu dieser Zeit? Wenn die Prohibition nie die Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit zum Ziel hatte, wie konnte dann der 18. Zusatzartikel, der die Ära der Prohibition einläutete, 1917 mit einer Mehrheit von 68 Prozent Repräsentantenhaus und mit 76 Prozent im Senat verabschiedet und dann von 46 der 48 Staaten ratifiziert werden, und das alles in Rekordzeit? Nichts davon ergibt Sinn.

In Wirklichkeit war die Abstinenz-Bewegung alles andere als die rosarote Vision der Viktorianer, um in der Gesellschaft den Alkoholkonsum zu verbieten. Die Abstinenzbewegung war die am längsten andauernde und am meisten unterstützte soziale Bewegung in der amerikanischen Geschichte, wenn nicht der Weltgeschichte. Ihr Feind war nicht das Getränk in der Flasche oder der torkelnde Trunkenbold, der seine Frau und Kinder schlug, sondern der Alkoholhandel: mächtige Geschäftsinteressen die geschützt waren durch eine Regierung, die auf Alkoholsteuern angewiesen war und die deshalb Männer (manchmal auch Frauen) süchtig machten nach Alkohol und die dann großzügig profitierten, indem sie sie und ihre Familien ausbluten ließen.

Im 19. Jahrhundert wurden Saloonbesitzer in den Vereinigten Staaten und auf der ganzen Welt als Schmarotzer angesehen. Das war nicht Ted Danson, der freundliche Barkeeper in „Cheers!“ Es gab keine Möglichkeit, einen Kunden nach Hause zu schicken, weil er zu viel getrunken hatte; das wäre entgangener Gewinn gewesen. Und da der Saloonbesitzer oft auch der Pfandleiher der Stadt war, nahm er einem Kunden, der seinen letzten Penny versoffen hatte, vielleicht auch noch Hemd, Hut und Uhr ab – wenn seine angeheuerten Taschendiebe sie nicht vorher geklaut hatten.

Das Abzocken der Kunden war meistens illegal, und die Gewinne des Saloonbesitzers flossen deshalb oft als Schmiergelder an Polizei, Richter und Bürgermeister. Popgeschichten beschreiben den Saloon als ein „Symbol“ – für Männlichkeit, für Trunkenheit, für soziale Missstände. Aber der Saloon war nicht das Symbol; er war das Problem selbst.

Deshalb hieß die mächtige Prohibitionsorganisation „Anti-Saloon League“ und nicht „Anti-Drinking Society“. Deshalb haben weder der 18. Verfassungszusatz noch die Prohibitionen auf staatlicher Ebene jemals das Trinken von Alkohol verboten, sondern sich stattdessen auf seinen Verkauf konzentriert. Es war nicht der gelegentliche Alkoholgenuss, der die Reformer auf die Palme brachte, sondern die Vorstellung, dass die Reichen reicher werden, indem sie die Armen durch die Sucht ärmer machen.

Ein Gesetzgeber forderte die Prohibition „zur Sicherheit und Erlösung des Volkes von dem sozialen, politischen und moralischen Fluch des Saloons.“ Dieser Eiferer war niemand anderer als Abraham Lincoln, der sich 1855 für die Prohibition in Illinois einsetzte. Ähnliche Gedanken wurden von Frederick Douglass, Theodore Roosevelt, Susan B. Anthony, William Jennings Bryan, William Lloyd Garrison, Elizabeth Cady Stanton und vielen anderen fortschrittlichen Persönlichkeiten geäußert.

Unsere Unfähigkeit, die Vergangenheit zu begreifen, rührt daher, dass wir sie durch die Brille unserer heutigen Weltanschauung sehen. Und die Tatsache, dass die Prohibition auf nationaler Ebene weitgehend gescheitert ist und später wieder aufgehoben wurde, bedeutet nicht, dass ihre Befürworter Spinner oder Radikale waren.

Um Mäßigung und Prohibition besser zu verstehen, vergessen Sie das bibelfeste „Du sollst nicht“-Denken und stellen Sie sich stattdessen eine riesige Industrie vor, die krakenartige eine ganze Gesellschaft festhielt und schamlos Profite macht, indem sie Menschen süchtig nach einer Substanz machte, die sie töten könnte.

Diese Industrie verwendete einen Teil dieser Gewinne, um sich korrupte politische Deckung zu erkaufen, indem sie sich die Gunst der Regierung und der Aufsichtsbehörden sicherte. Wenn wi r für „Alkohol“ einfach „Opioide“ einsetzen und die Industrie „Big Pharma“ nennen, dann wird die Parallele zu heute noch deutlicher.

Es ist die gleiche Art von Raubtierkapitalismus, den die Abstinenz- und Prohibitionsbewegung vor 100 Jahren bekämpfte. Sollten große Unternehmen in der Lage sein, die Sucht zu nutzen, um durch Ausbeutung der Armen enorme Gewinne zu machen? Wenn Ihre Antwort nein lautet und Sie vor 100 Jahren dabei gewesen wären, hätten Sie sich wahrscheinlich der großen Mehrheit der Amerikaner angeschlossen, die ein Verbot des Alkoholhandels forderten.

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Gimme little water!

As a devoted student of naval history in the Age of Sail, I just had to answer this question on Qu0ra! about drinking water and distillation.

Attempts to create so-called evaporators for sailing vessels have been documented since at least the 16th century. Obtaining fresh water from seawater is, in theory, simple,but in practice it presents a number of difficulties. While there are numerous effective methods today, early desalination efforts had low yields and often could not produce potable water.

Blasco de Garay (1500–1552) was a Spanish navy captain in the reign of the Holy Roman Emperor, Charles V and a noted inventor. He is claimed to have found a way to sweeten brackish water, although not much is known about it and it was never widely used. Garay also built and tested the first steam-powered boat in the harbor of Barcelona,which was witnessed by hundreds of people.

Unfortunately, Spanish authorities later questioned that claim, so it wasn’t until 1807 that Robert Fulton was credited with inventing the steamboat – three hundred years after de Garay! Weiterlesen

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Der alte Mann und das Taxi

Bist du schon einmal im Fernsehen oder in einem Film aufgetreten, hat mich neulich einer auf Quora gefragt. Nun, im Fernsehen war ich ja oft, und zwar als Moderator der Sendung eTalk bei n-tv mit meinem Freund Ossi Urchs zwischen 2000 und 2003 und immer wieder als Gast in diversen Talksshows, wenn es um digitale Themen ging. Zum Film habe ich es nicht geschafft – aber immerhin habe ich einen bekannten Regisseur zu seinem berühmtesten Film inspiriert!

 

 

 

 

 

 

Ich war nach meinen Stationen bei Tageszeitungen wie die Stuttgarter Nachtrichten und BILD 1978 zu auto motor und sport gewechselt – nicht, weil ich etwas von Autos verstand, sondern weil der Chefredaktuer Ferdinand Simoneit (den wir alle nur „Simmi“ nannten) mich haben wollte, um der langweiligen Automobilisten-Fachzeitung mehr journalistischen Pepp zu geben.

Ich bekam freie Hand, mit die Stücke auszusuchen, die ich schreiben wollte, Von der Dame aus Texas, zum Beispiel, die sich in ihrem selbergrauen Cadillac DeVille beerdigen ließ und darauf bestand, dass der Wagen vollgetankt sein sollte, damit sie im Jenseits gleich weiterfahren konnte. Oder die alte Schloßherrin in Irland, die sich seit 60 Jahren immer im gleichen Fahrzeug, einer Rolls Royce Silver Ghost zum Fünfuhrtee in den örtlichen Tea Shop fahren ließ – sie selbst hatte gar keinen Führerscheon. Ich habe Geschichten geschrieben über den Fuhrpark des Papstes und der Queen und habe einen Londoner Taxifahrer damit zu einem sehr glücklichen Mann gemacht.

Als ich einstieg, habe ich ihm gesagt. „Zum Buckingham Palace“, bitte. Er hielt mich für einen typischen Touristen und wollte mich vorne am Haupttor absetzen, wo die Tourguides alle warteten.“

„Nein,“ sagte ich, bitte da drüben hin“ und deutete auf das kleine Tor rechts vom Haupteingang, wo ein Gardesoldat im Rotrock mit Bärenfellmütze stand. Mein Fahrer war sehr skeptisch, tat aber, was ich ihm sagte. Als er das Fenster runterkrubelte, beugte sich der Gardist herunter und sage: „Mr. Cole? Sie werden erwartet. Fahren Sie bittte da drüben hin.“ Mein Fahrer rollte im Schleichgang über den knirschenden Kies zur Eingangstür, hinter der sich das königliche Pressebüro befand, und als ich ihm sein Fahrgeld geben wollte, winkte er traumverloren ab. „Es ist okay, Mate – davon werde ich noch meinen Enkelkindern erzählen können…“

Zum Film bin ich aber ganz anders gekommen. Weiterlesen

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